Datum: 20. Februar 2025
Gericht: BGH
Spruchkörper: 1. Zivilsenat
Entscheidungart: Urteil
Aktenzeichen: I ZR 46/24
ECLI: ECLI:DE:BGH:2025:200225UIZR46.24.0
Vorinstanz: OLG Karlsruhe
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 46/24
vom
20. Februar 2025
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
JNEU: nein
Partnervertrag
ApoG § 8 Satz 2 Fall 2, § 11 Abs. 1 und Abs. 1a; SGB V § 360 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 10, Abs. 16, § 361a Abs. 1, Abs. 6
a) Ein Fall des unzulässigen Rezeptmakelns im Sinne des § 11 Abs. 1a ApoG liegt vor, wenn
der Dritte den Vorteil „dafür“ fordert, sich versprechen lässt, annimmt oder gewährt, Ver-
schreibungen zu sammeln, an Apotheken zu vermitteln oder weiterzuleiten. Erforderlich ist
ein schutzzweckrelevanter Zusammenhang zwischen Tathandlung und Vorteil, der gegeben
ist, wenn die Art und Weise der Vorteilsgewährung geeignet ist, die Freiheit der Apotheken-
wahl der Versicherten oder die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch wohnortnahe
Apotheken zu gefährden.
b) Verlangt der Betreiber eines Internetmarktplatzes, über den Kunden elektronische Verord-
nungen („E-Rezepte“) bei Apotheken einlösen können, von teilnehmenden Apotheken eine
monatliche, von der Zahl der Transaktionen oder dem mit ihnen erzielten Umsatz unabhän-
gige Nutzungsgebühr, spricht dies grundsätzlich dagegen, dass das Entgelt im Sinne eines
schutzzweckrelevanten Zusammenhangs unter Verstoß gegen § 11 Abs. 1a ApoG gerade
für das Sammeln, Vermitteln oder Weiterleiten des E-Rezepts gezahlt wird, sofern keine An-
haltspunkte dafür bestehen, dass es sich um eine verdeckte Erfolgsprovision handelt, etwa
weil die geforderte Vergütung mit Blick auf den gebotenen Leistungsumfang überhöht ist.
c) Stellt ein Betreiber seinen Internet-Marktplatz Apotheken zur Abwicklung von Verkaufsvor-
gängen über nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Verfügung, handelt es sich bei
dieser Dienstleistung um einen im Sinne des § 8 Satz 2 Fall 2 ApoG überlassenen Vermö-
genswert.
d) Bemisst sich die von einer Apotheke für die Bereitstellung eines Internet-Marktplatzes zur
Abwicklung von Verkaufsvorgängen über nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ge-
zahlte Vergütung nach einem Anteil an dem pro Transaktion erwirtschafteten Umsatz oder
Gewinn, ist diese Vergütung nur dann als im Sinne von § 8 Satz 2 ApoG am Umsatz oder
am Gewinn der Apotheke ausgerichtet anzusehen, wenn der gesamte Umsatz oder Gewinn
der Apotheke zu einem wesentlichen Teil auf den über den Internet-Marktplatz getätigten
Geschäften beruht.
BGH, Urteil vom 20. Februar 2025 – I ZR 46/24 – OLG Karlsruhe, LG Karlsruhe
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. Dezember 2024
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Koch,
den Richter Dr. Löffler, die Richterin Dr. Schwonke, die Richter Feddersen und Odörfer
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin und unter Zurückweisung der Rechtsmittel der Parteien im Übrigen wird
das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 6. Zivilsenat – vom 13. März 2024 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben,
als hinsichtlich des Widerklageantrags 1.2 zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1 Die in den Niederlanden ansässige Klägerin gehört dem D. -Kon-
zern an. Die Beklagte ist die berufsständische Organisation der Apothekerinnen
und Apotheker im Kammerbezirk Nordrhein. Zu ihren Aufgaben gehört die Über-
wachung der Einhaltung der Berufspflichten der Apotheker.
2 Die Klägerin betreibt eine Online-Plattform, über die niedergelassene Apo-
theken und Versandapotheken durch Abschluss eines „Partnervertrags“ apothe-
kenpflichtige, aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und andere Pro-
dukte, etwa Kosmetika und Nahrungsergänzungsmittel, anbieten und verkaufen
können. Die Klägerin selbst bietet keine Apothekenprodukte an. Teilnehmende
Apotheken sollen über die Online-Plattform der Klägerin auch das Einlösen von
elektronischen Rezepten (nachfolgend: E-Rezepten) anbieten können, was Kun-
den ermöglicht, rezeptpflichtige Arzneimittel von ihnen zu erhalten. Nach einer
Startphase mit Sonderkonditionen sollen die teilnehmenden Apotheken eine
„monatliche Grundgebühr“ von 399 € für die Nutzung der Online-Plattform zah-
len. Auf Bestellungen von Produkten, die apothekenpflichtig, aber nicht verschrei-
bungspflichtig sind, soll die Klägerin zusätzlich eine „Transaktionsgebühr“ in
Höhe von 10 % des Nettoverkaufspreises erhalten. Einen entsprechenden Part-
nervertrag schloss die Klägerin im Januar 2022 mit einem in N. -W.
niedergelassenen Apotheker ab.
3 Die Beklagte ließ die Klägerin im September 2021 mit der Begründung
abmahnen, ihr Plattformmodell sei wegen Verstoßes gegen das in § 11 Abs. 1a
ApoG geregelte Verbot des Rezeptmakelns unzulässig und die Erhebung von
Gebühren im Zusammenhang mit dem Vertrieb nicht preisgebundener Arzneimit-
tel verstoße gegen § 8 Satz 2 ApoG.
4 Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass die Beklagte keine Ansprüche gegen die Klägerin hat, es
ab sofort zu unterlassen, niedergelassenen Apotheken in Deutschland einen
Vertrag über eine Aufschaltung der Apotheke auf eine von der Klägerin be-
triebene Plattform zur Bestellung von Arzneimitteln anzubieten, diesen Ver-
trag abzuschließen oder diesen Vertrag zu vollziehen,
wenn im Rahmen der Durchführung des Vertrages Verschreibungen, insbe-
sondere elektronische Verschreibungen, an die teilnehmenden Apotheken
übermittelt werden und die teilnehmende Apotheke hierfür eine monatliche
Grundgebühr von mindestens 399 € pro Apotheke an die Klägerin bezahlt.
5 Im Wege der Widerklage hat die Beklagte zuletzt – soweit in der Revisi-
onsinstanz von Bedeutung – beantragt, die Klägerin unter Androhung näher be-
zeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,
1. niedergelassenen Apotheken in Deutschland einen Vertrag über eine Auf-
schaltung der Apotheke auf eine von der Klägerin oder einem mit der Klä-
gerin verbundenen Unternehmen betriebene Plattform zur Bestellung von
apothekenpflichtigen Arzneimitteln anzubieten, diesen Vertrag abzuschlie-
ßen oder diesen Vertrag zu vollziehen,
1.1 wenn im Rahmen der Durchführung des Vertrages eine Marktplatz-
Infrastruktur, über die Verschreibungen, insbesondere elektronische
Verschreibungen, an die teilnehmende Apotheke übermittelt werden,
zur Verfügung gestellt wird und die teilnehmenden Apotheken hierfür
eine monatliche Grundgebühr von EUR 399,00 pro Apotheke an die
Klägerin bezahlen;
1.2 wenn im Rahmen der Durchführung des Vertrages Bestellungen von
apothekenpflichtigen Arzneimitteln, die nicht der Verschreibungs-
pflicht unterliegen, an die teilnehmenden Apotheken übermittelt wer-
den und die teilnehmenden Apotheken hierfür an die Klägerin eine
Transaktionsgebühr in Höhe von 10% des Nettoverkaufspreises be-
zahlen.
[…]
6 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage – soweit
für die Revisionsinstanz von Bedeutung – stattgegeben (LG Karlsruhe,
PharmR 2023, 125). Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht den
mit der Widerklage verfolgten Antrag 1.1 abgewiesen, die Berufung im Übrigen
zurückgewiesen und die Revision zugelassen (OLG Karlsruhe, PharmR 2024,
317).
7 Die Klägerin verfolgt mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte
beantragt, ihren Feststellungsantrag sowie ihren auf vollständige Abweisung der
Widerklage gerichteten Antrag weiter. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision,
deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, ihren Widerklageantrag 1.1 weiter.
Entscheidungsgründe:
8 A. Das Berufungsgericht hat die negative Feststellungsklage als unzuläs-
sig erachtet. Den mit dem Widerklageantrag 1.1 verfolgten Unterlassungsan-
spruch hat das Berufungsgericht als unbegründet, den Widerklageantrag 1.2 hin-
gegen als begründet angesehen. Dazu hat es ausgeführt:
9 Das für die negative Feststellungklage erforderliche Feststellungsinter-
esse sei mit der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht über die im Wege
der Widerklage erhobene Leistungsklage vollständig entfallen.
10 Die Widerklage sei zulässig, insbesondere seien deutsche Gerichte inter-
national zuständig und die Widerklageanträge hinreichend bestimmt. Der mit
dem Widerklageantrag 1.1 geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8
Abs. 1 Satz 1, § 3a UWG sei unbegründet, weil die Klägerin durch die angegrif-
fene Vertragsgestaltung nicht gegen das in § 11 Abs. 1a ApoG vorgesehene Ver-
bot des Rezeptmakelns für verschreibungspflichtige Arzneimittel verstoße.
11 Der mit dem Widerklageantrag 1.2 geltend gemachte Unterlassungsan-
spruch sei hingegen begründet. Die vertragliche Verpflichtung der teilnehmenden
Apotheken zur Zahlung einer Gebühr von 10 % des Nettoverkaufspreises für
nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verstoße gegen das in § 8 Satz 2
ApoG geregelte Verbot der Überlassung von Vermögenswerten gegen umsatz-
abhängige Vergütung.
12 B. Die Revision der Klägerin hat nur insoweit Erfolg, als sie sich gegen die
Verurteilung zur Unterlassung nach dem Widerklageantrag 1.2 richtet. Die Revi-
sion der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Klage zu
Recht als unzulässig angesehen (dazu nachfolgend B I). Die Widerklage ist zwar
zulässig (dazu nachfolgend B II). Den Widerklageantrag 1.1 hat das Berufungs-
gericht jedoch zu Recht als unbegründet erachtet (dazu nachfolgend B III). Die
Verurteilung nach dem Widerklageantrag 1.2 durch das Berufungsgericht hält der
rechtlichen Nachprüfung nicht stand (dazu nachfolgend B IV).
13 I. Die negative Feststellungsklage der Klägerin ist mangels Rechtsschutz-
interesses unzulässig. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsverstoß angenom-
men, dass das in § 256 ZPO geforderte – auch in der Revisionsinstanz von Amts
wegen zu prüfende (BGH, Urteil vom 9. September 2021 – I ZR 113/18, BGHZ
231, 116 [juris Rn. 11 f.] – Deutsche Digitale Bibliothek II, mwN) – rechtliche Inte-
resse der Klägerin auf Feststellung des Nichtbestehens eines Unterlassungsan-
spruchs mit der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht über die im Wege
der Widerklage von der Beklagten erhobene Leistungsklage vollständig entfallen
ist.
14 1. Das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung des Nichtbeste-
hens eines Anspruchs entfällt, wenn eine auf die Durchsetzung desselben An-
spruchs gerichtete Leistungsklage erhoben wird und diese einseitig nicht mehr
zurückgenommen werden kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 22. Januar
1987 – I ZR 230/85, BGHZ 99, 340 [juris Rn. 10] – Parallelverfahren I; Urteil vom
21. Dezember 1989 – IX ZR 234/88, NJW-RR 1990, 1532 [juris Rn. 7]; Urteil vom
7. Juli 1994 – I ZR 30/92, GRUR 1994, 846 [juris Rn. 22] = WRP 1994, 810
– Parallelverfahren II, jeweils mwN). Auch wenn die Streitgegenstände von Fest-
stellungs- und Leistungsbegehren teilweise übereinstimmen, besteht – bezogen
auf den deckungsgleichen Teil – ein Vorrang der Leistungsklage (vgl. BGH, NJW-
RR 1990, 1532 [juris Rn. 9]; Urteil vom 4. Juli 2013 – VII ZR 52/12, NJW-
RR 2013, 1105 [juris Rn. 11]; Urteil vom 15. Oktober 2019 – XI ZR 759/17,
NJW 2020, 148 [juris Rn. 16]).
15 2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Feststellungsklage der Kläge-
rin unzulässig.
16 a) Die Beklagte verfolgt mit ihrer Widerklage, die sie ohne Einwilligung der
Klägerin nicht mehr zurücknehmen kann (§ 269 Abs. 1 ZPO), mit dem Widerkla-
geantrag 1.1 einen Anspruch auf Unterlassung des behaupteten Verstoßes ge-
gen § 11 Abs. 1a ApoG durch Angebot, Abschluss und Vollziehung von Verträ-
gen über die Aufschaltung niedergelassener Apotheken in Deutschland auf eine
entgeltpflichtige Internetplattform zur Bestellung von apothekenpflichtigen Arz-
neimitteln, wenn im Rahmen der Durchführung des Vertrags eine Marktplatz-Inf-
rastruktur zur Verfügung gestellt wird, über die Verschreibungen, insbesondere
elektronische Verschreibungen, an die teilnehmende Apotheke übermittelt wer-
den.
17 b) Soweit die Klägerin diesen Anspruch mit ihrem Feststellungsantrag
leugnet, deckt der Widerklageantrag 1.1 diesen Feststellungsantrag vollständig
ab.
18 aa) Der von der Klägerin erhobenen Feststellungsklage verbleibt kein
selbständiger Gehalt dadurch, dass sich der Widerklageantrag 1.1 in seinem
abstrakten Teil auf den Betrieb der Plattform „zur Bestellung von apothekenpflich-
tigen Arzneimitteln“ bezieht, während der Feststellungsantrag den Betrieb der
Plattform „zur Bestellung von Arzneimitteln“ adressiert. Der Feststellungsantrag
ist mit Blick auf die von der Beklagten zuvor ausgesprochene Abmahnung aus-
zulegen, aus deren Begründung sich ergibt, dass Gegenstand des gerügten Ver-
stoßes gegen § 11 Abs. 1a ApoG verschreibungspflichtige Arzneimittel waren,
die über auf der Plattform der Klägerin vertretene Apotheken abgegeben werden.
Wie auch die jeweilige Antragskonkretisierung erkennen lässt, beziehen sich die
Anträge beider Parteien auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel
durch Apotheken.
19 bb) Entgegen der Auffassung der Revision der Klägerin resultiert ein ab-
weichender Streitgegenstand beider Klagen auch nicht daraus, dass der kon-
krete Teil des Widerklageantrags 1.1 sich dagegen richtet, dass Verschreibun-
gen über eine von der Klägerin zur Verfügung gestellte Marktplatz-Infrastruktur
übermittelt werden. Eine Trennung zwischen der Vergütung für die Übermittlung
von Verschreibungen einerseits und dem Zurverfügungstellen einer Marktplatz-
Infrastruktur andererseits ist von der Beklagten erkennbar nicht beabsichtigt.
Dies ergibt sich schon daraus, dass die „Aufschaltung der Apotheke auf eine von
der Klägerin […] betriebene Plattform“ bereits Gegenstand des abstrakten Teils
des Widerklageantrags 1.1 ist. Ein vom Feststellungsbegehren der Klägerin ab-
weichender Lebenssachverhalt ergibt sich nicht daraus, dass die Marktplatz-
Infrastruktur im konkreten Teil des Widerklageantrags erneut klarstellend be-
nannt wird.
20 II. Die Widerklage der Beklagten ist zulässig. Das Berufungsgericht hat zu
Recht angenommen, dass deutsche Gerichte international zuständig sind, die
Widerklageanträge 1.1 und 1.2 hinreichend bestimmt sind und die Beklagte kla-
gebefugt ist.
21 1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist auch unter Gel-
tung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen
(st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 9. März 2023 – I ZR 167/21, GRUR 2023, 887
[juris Rn. 11] = WRP 2023, 825 – Tellerschleifgerät; Urteil vom 23. Januar 2024
– I ZR 147/22, GRUR 2024, 319 – Eindrehpapier). Im Streitfall ergibt sie sich aus
Art. 7 Nr. 2, Art. 8 Nr. 3 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
Zivil- und Handelssachen (im Folgenden Brüssel-Ia-VO).
22 Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinne von Art. 7 Nr. 2
Brüssel-Ia-VO liegt nach den für Wettbewerbshandlungen geltenden Grundsät-
zen im Inland. Die mit der Widerklage angegriffenen Vertragsangebote richten
sich an inländische Apotheken als Adressaten. Für die Widerklage ergibt sich die
Zuständigkeit deutscher Gerichte zudem aus Art. 8 Nr. 3 Brüssel-Ia-VO, da sie
sich auf denselben Sachverhalt wie die Klage stützt.
23 2. Die Klagebefugnis der Beklagten nach § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG hat das
Berufungsgericht zu Recht bejaht.
24 a) Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG stehen die Ansprüche nach § 8 Abs. 1
UWG unter anderem den berufsständischen Körperschaften des öffentlichen
Rechts im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben zu.
25 b) Zu den berufsständischen Körperschaften des öffentlichen Rechts zäh-
len die Kammern der freien Berufe (Köhler/Feddersen in Köhler/Feddersen,
UWG, 43. Aufl., § 8 Rn. 3.65). Darunter fallen auch Apothekerkammern
(Teplitzky/Büch, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl.,
Kap. 13 Rn. 55).
26 c) Die Beklagte ist durch die von ihr angegriffenen Handlungen der Kläge-
rin im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG bei der Erfüllung ihrer Aufgaben betroffen.
Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Verfolgung des Wettbewerbsverstoßes
in den Aufgabenbereich der berufsständischen Körperschaft fällt (vgl. Entwurf
eines Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, BT-Drucks. 19/12084,
S. 27 Abs. 4).
27 aa) Nach § 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 des Heilberufsgesetzes Nordrhein-West-
falen vom 9. Mai 2000 (GV. NRW. S. 403 – HeilBerG-NRW) ist die Beklagte die
berufsständische Organisation der Apothekerinnen und Apotheker im Kammer-
bezirk Nordrhein des Landes Nordrhein-Westfalen. Aufgabe der Kammern für
Heilberufe ist es, für die Erhaltung eines hoch stehenden Berufsstandes zu
sorgen und die Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen zu über-
wachen sowie die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung berufsrechtswidri-
ger Zustände zu treffen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 HeilBerG-NRW) und die berufli-
chen Belange der Kammermitglieder wahrzunehmen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
HeilBerG-NRW).
28 Zu den beruflichen Belangen der Kammermitglieder zählen deren gewerb-
liche Interessen, welche auch die Unterbindung von Wettbewerbsverstößen um-
fassen, durch die den Kammermitgliedern Nachteile im Wettbewerb entstehen
können (zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG aF vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1996
– I ZR 129/94, GRUR 1997, 313 [juris Rn. 15] = WRP 1997, 325 – Architekten-
wettbewerb; zu § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aF vgl. BGH, Urteil vom 9. September 2021
– I ZR 113/20 GRUR 2021, 1425 [juris Rn. 10] = WRP 2021, 1437 – Vertrags-
dokumentengenerator, jeweils mwN).
29 bb) Die Verfolgung der von der Beklagten geltend gemachten lauterkeits-
rechtlichen Ansprüche gehört sachlich und örtlich zu den von der Beklagten zu
erfüllenden Aufgaben.
30 Das von der Beklagten beanstandete Verhalten – der Abschluss von Part-
nerverträgen mit Apotheken in Deutschland zwecks Angebots eines Internet-
marktplatzes für Arzneimittel – ist geeignet, den Wettbewerb daran nicht teilneh-
mender Mitglieder der Beklagten zu beeinträchtigen. Das Angebot eines Inter-
netmarktplatzes für verschreibungspflichtige Arzneimittel wirkt sich jedenfalls
auch im räumlichen Tätigkeitsbereich der Beklagten aus, weil Kunden statt des
(stationären oder im Internet erfolgenden) Angebots eines Mitglieds der Beklag-
ten das Internetangebot der Klägerin in Anspruch nehmen können. Für diese
Interessenbeeinträchtigung ist ohne Bedeutung, ob der Vertragspartner der Klä-
gerin im räumlichen Tätigkeitsbereich der Beklagten ansässig ist. Deshalb ist ent-
gegen der Auffassung der Revision der Klägerin die Klagebefugnis der Beklagten
nicht etwa auf das Verbot des Abschlusses von Partnerverträgen im räumlichen
Tätigkeitsbereich der Beklagten beschränkt.
31 cc) Entgegen der Auffassung der Revision der Klägerin handelt es sich bei
der Wahrnehmung der beruflichen Belange der Kammermitglieder durch die Be-
klagte auch nicht um einen gesonderten, vom anhängigen Streitstoff nicht erfass-
ten Streitgegenstand.
32 Der Streitgegenstand wird durch den Klageantrag, in dem sich die von der
Klagepartei in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebens-
sachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem die Klagepartei die begehrte
Rechtsfolge herleitet (vgl. nur BGH, Urteil vom 13. September 2012
– I ZR 230/11, BGHZ 194, 314 [juris Rn. 18] – Biomineralwasser; Urteil vom 9. No-
vember 2023 – I ZR 203/22, GRUR 2024, 386 [juris Rn. 16] = WRP 2024, 340
– E2).
33 Nach den von der Beklagten gestellten Anträgen und dem von ihr zur Be-
gründung vorgetragenen Lebenssachverhalt verfolgt die Beklagte die geltend ge-
machten Ansprüche im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben, zu denen neben
der von der Revision der Klägerin betonten Überwachung der Einhaltung von
Berufspflichten auch die Wahrnehmung beruflicher Belange der Kammerange-
hörigen zählt. Die Ausformung dieser unterschiedlichen gesetzlichen Aufgaben
der Beklagten bewirkt keine Aufspaltung des Streitgegenstands. Aus dem Um-
stand, dass die Beklagte geltend macht, die Klägerin habe mit einem Mitglied der
Beklagten einen Partnervertrag geschlossen, folgt zudem keine Beschränkung
ihres Begehrs auf die Einhaltung von Berufspflichten ihrer Mitglieder, also auf
eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs innerhalb der Mitgliedschaft der Beklag-
ten.
34 III. Zu Recht hat das Berufungsgericht den Widerklageantrag 1.1 als un-
begründet erachtet. Der Beklagten steht kein Unterlassungsanspruch gemäß § 8
Abs. 1 Satz 1, § 3a UWG zu, weil die Klägerin durch die angegriffene Vertrags-
gestaltung nicht gegen § 11 Abs. 1a ApoG verstößt.
35 1. Nach § 11 Abs. 1a ApoG ist es für die in § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG ge-
nannten Dritten – Personen, die nicht Erlaubnisinhaber und Personal von Apo-
theken, Ärzte oder andere Personen sind, die sich mit der Behandlung von Krank-
heiten befassen – unzulässig, Verschreibungen, auch Verschreibungen in elekt-
ronischer Form oder elektronische Zugangsdaten zu Verschreibungen in elektro-
nischer Form, zu sammeln, an Apotheken zu vermitteln oder weiterzuleiten und
dafür für sich oder andere einen Vorteil zu fordern, sich einen Vorteil versprechen
zu lassen, anzunehmen oder zu gewähren.
36 2. Das Berufungsgericht hat angenommen, es könne offenbleiben, ob die
Klägerin E-Rezepte oder E-Rezept-Token deswegen im Sinne von § 11 Abs. 1a
ApoG „vermittele“ oder „weiterleite“, weil sie eine technische Infrastruktur bereit-
stelle, die dies – gegebenenfalls unter Nutzung der von der Nationalen Agentur
für digitale Medizin (Gematik) bereitgestellten Schnittstelle – technisch (mit)er-
mögliche. Die Forderung, die Annahme des entsprechenden Versprechens und
die Annahme der Zahlung der vorgesehenen monatlichen Grundgebühr für das
Bereitstellen einer digitalen Marktplatz-Infrastruktur, über die E-Rezepte oder
E-Rezept-Token durch den Kunden unter Inanspruchnahme dieser digitalen
Infrastruktur an die Apotheke des Vertragspartners übertragen werden könnten,
falls der Kunde diese auswähle, stellten jedenfalls keinen Vorteil dar, der gerade
„für“ die in § 11 Abs. 1a ApoG genannten Handlungen gefordert, vereinbart oder
gewährt werde. Es müsse ein Konnex zwischen dem Vorteil und den in § 11
Abs. 1a ApoG genannten Handlungen derart bestehen, dass ein Entgelt gerade
für einen steuernden Einfluss des Dritten auf den Weg von Rezepten zur Apo-
theke bezahlt werde. Dies sei bei der im Streitfall angegriffenen Marktplatz-Infra-
struktur nicht der Fall, da die monatliche Grundgebühr nicht an einzelne Übertra-
gungsvorgänge im Zusammenhang mit der Weiterleitung oder Vermittlung von
Verschreibungen – etwa in Form einer Umsatzbeteiligung – anknüpfe, sondern
unabhängig davon anfalle, ob eine teilnehmende Apotheke solche überhaupt an-
biete beziehungsweise wie viele solcher Arzneimittel sie verkaufe. Eine abwei-
chende Beurteilung ergebe sich auch nicht mit Blick auf § 360 Abs. 16 SGB V.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
37 3. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin bei
dem Betrieb ihres Internetmarktplatzes mit Blick auf die darin vorgesehene Funk-
tion des Einlösens von E-Rezepten nicht gegen § 11 Abs. 1a ApoG verstößt.
Selbst bei (unterstelltem) Vorliegen einer der tatbestandlichen Handlungsformen
des Sammelns, Vermittelns oder Weiterleitens im Sinne des § 11 Abs. 1a ApoG
ist der Tatbestand nicht erfüllt, weil die monatliche „Grundgebühr“ in Höhe von
399 € nicht als Vorteil gerade für die Handlungen versprochen oder gewährt wird,
in denen die Beklagte ein „Weiterleiten“ oder „Vermitteln“ von elektronischen Ver-
schreibungen sieht. Es besteht nicht der erforderliche schutzzweckrelevante Zu-
sammenhang zwischen den in § 11 Abs. 1a ApoG genannten Tathandlungen
und dem versprochenen oder gewährten Vorteil.
38 a) Der Wortlaut von § 11 Abs. 1a ApoG impliziert mit dem finalen Adverb
„dafür“, dass der Vorteil gerade auf die tatbestandsmäßigen Handlungen des
Sammelns, Vermittelns oder Weiterleitens bezogen sein muss.
39 b) Nach der Begründung des Gesetzentwurfs dient die schlagwortartig als
Verbot des Rezeptmakelns bezeichnete Regelung des § 11 Abs. 1a ApoG zum
einen dem Schutz der Freiheit der Versicherten bei der Auswahl der Apotheke,
zum anderen der Sicherung einer flächendeckenden Versorgung mit Arzneimit-
teln durch wohnortnahe Apotheken. Apotheken könnten zunehmend unter wirt-
schaftlichen Druck geraten, da sie sich entweder an entsprechenden Geschäfts-
modellen beteiligen müssten oder Verschreibungen verlören. Es stehe zu be-
fürchten, dass derartige Geschäftsmodelle mit der Einführung der elektronischen
Verordnung an Bedeutung gewönnen. Es solle ausgeschlossen werden, dass
unter Berufung auf die Möglichkeiten der Digitalisierung die Anwendbarkeit der
Vorschriften zur Gewährleistung der freien Apothekenwahl in Frage gestellt
werde (s. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zum Schutz
elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur [Patientendaten-
Schutz-Gesetz – PDSG], BT-Drucks. 19/18793, S. 137 [nachfolgend abgekürzt
als RegE PDSG]).
40 c) Systematische Gründe sprechen ebenfalls dafür, einen schutzzweckre-
levanten Zusammenhang zwischen den in § 11 Abs. 1a ApoG genannten Tat-
handlungen und dem versprochenen oder gewährten Vorteil zu verlangen.
41 aa) Die durch das Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) vom 14. Okto-
ber 2020 (BGBl. I S. 2115) eingeführte Vorschrift des § 11 Abs. 1a ApoG steht
im systematischen Zusammenhang mit dem in § 11 Abs. 1 ApoG geregelten Ver-
bot von Absprachen zwischen Apothekern und ihrem Personal mit Angehörigen
der Heilberufe oder mit Dritten, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arznei-
mittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder
die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum
Gegenstand haben. Das im Zuweisungsverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG lie-
gende Verbot der Einflussnahme auf die Einlösung von Verschreibungen wird
durch § 11 Abs. 1a ApoG vor dem Hintergrund der Digitalisierung des Gesund-
heitswesens in Gestalt der Einführung des E-Rezepts auf das Sammeln, Vermit-
teln und Weiterleiten von Verschreibungen durch Dritte erweitert, sofern diese
dafür für sich oder andere einen Vorteil fordern, sich versprechen lassen, anneh-
men oder gewähren.
42 bb) Nach Normstruktur und Schutzzweck weist § 11 Abs. 1a ApoG Über-
einstimmungen mit den Vorschriften des ärztlichen Berufsrechts auf, nach denen
es Ärzten untersagt ist, für die Zuweisung von Patienten oder Untersuchungs-
material oder für die Verordnung oder den Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln
oder Medizinprodukten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Drit-
ten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu
gewähren. Diese Vorschriften schützen neben der Wahlfreiheit des Patienten in
Bezug auf Apotheken, Geschäfte und Anbieter gesundheitlicher Leistungen (vgl.
BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – I ZR 46/15, GRUR 2017, 194 [juris Rn. 42] =
WRP 2017, 64 – Orthopädietechniker) die ärztliche Unabhängigkeit und das Ver-
trauen des Patienten in die Sachlichkeit ärztlicher Entscheidungen (vgl. BGH,
Beschluss vom 9. November 2021 – VIII ZR 362/19, NJW-RR 2022, 336 [juris
Rn. 35] mwN). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt,
dass zwischen der Zuweisung von Patienten und dem gewährten Vorteil ein
schutzzweckrelevanter Zusammenhang bestehen muss, an dem es fehlt, wenn
der Vorteil nicht als Provision für die Vermittlung von Patienten, sondern für eine
ärztliche Tätigkeit (zu § 31 HessBOÄ vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2001
– I ZR 275/99, GRUR 2002, 271 [juris Rn. 43 aE] = WRP 2002, 211 – Hörgeräte-
versorgung I) oder für die Nutzung eines virtuellen Marktplatzes gewährt wird (zu
§ 8 Abs. 5 BayBOZÄ vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2010 – I ZR 55/08,
GRUR 2011, 343 [juris Rn. 22] = WRP 2011, 449 – Zweite Zahnarztmeinung II).
Hängt der Vorteil hingegen unmittelbar von der Zahl der vom Arzt ausgesproche-
nen Verweisungen oder dem damit erzielten Umsatz ab, so ist der erforderliche
Zusammenhang gegeben (zu § 31 NdsBOÄ vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar
2011 – I ZR 111/08, GRUR 2011, 345 [juris Rn. 69] = WRP 2011, 451 – Hörgerä-
teversorgung II).
43 Es ist sachgerecht, den im ärztlichen Berufsrecht anerkannten Zusam-
menhang zwischen Tathandlung und Vorteil auch für die Anwendung des in § 11
Abs. 1a ApoG vorgesehenen Verbots des Rezeptmakelns zu verlangen (vgl.
Kieser/Buckstegge, A&R 2022, 179, 183). Die (teilweisen) Unterschiede in den
Schutzzwecken der Vorschriften des ärztlichen Berufsrechts einerseits und § 11
Abs. 1a ApoG andererseits stehen einer Übertragung des vorstehend beschrie-
benen Erfordernisses eines schutzzweckrelevanten Zusammenhangs zwischen
Tathandlung und Vorteil auf die letztgenannte Vorschrift nicht entgegen
(aA Mand, A&R 2023, 3, 9). Dieses Erfordernis bildet im Rahmen des § 11
Abs. 1a ApoG den apothekenrechtlichen Schutzzweck adäquat ab, weil die von
digitalen Geschäftsmodellen des Sammelns, Vermittelns oder Weiterleitens von
E-Rezepten ausgehenden Gefahren für die flächendeckende Versorgung mit
Arzneimitteln, denen der Gesetzgeber – wie dargelegt (s. Rn. 39) – mit der Ein-
führung des § 11 Abs. 1a ApoG begegnen wollte, mit Blick auf die potentielle
Marktmacht etwa von Plattformen und daraus für Vor-Ort-Apotheken folgenden
Umsatzeinbußen gerade aus der Verknüpfung des Makelns von Rezepten und
dem hierfür etwaig zu gewährenden Vorteil folgen.
44 cc) Das tatbestandslimitierende Erfordernis eines schutzzweckrelevanten
Zusammenhangs zwischen Tathandlung und Vorteil ist auch deshalb sachge-
recht, weil andernfalls die Gefahr besteht, dass das in § 11 Abs. 1a ApoG vorge-
sehene Verbot in widersprüchlicher Weise zu Lasten weiterer gesetzlicher Rege-
lungen ausgedehnt würde, deren Ziel die Förderung der Digitalisierung der
Patientenversorgung ist (hier: die Vorschriften der §§ 360 bis 360b SGB V zur
Übermittlung ärztlicher Verordnungen).
45 (1) Nach § 360 Abs. 1 SGB V in der seit dem 20. Oktober 2020 geltenden
Fassung ist für die elektronische Übermittlung und Verarbeitung vertragsärztli-
cher elektronischer Verordnungen von apothekenpflichtigen Arzneimitteln, ein-
schließlich Betäubungsmitteln, sowie von sonstigen in der vertragsärztlichen Ver-
sorgung verordnungsfähigen Leistungen die Telematikinfrastruktur zu nutzen,
sobald die hierfür erforderlichen Dienste und Komponenten flächendeckend zur
Verfügung stehen. § 360 Abs. 2 Satz 1 SGB V sieht die Verpflichtung der an der
vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Zahnärzte vor, ab dem
1. Januar 2022 Verordnungen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln elek-
tronisch auszustellen und für deren Übermittlung die Telematikinfrastruktur zu
nutzen. Nach § 360 Abs. 3 Satz 1 sind Apotheken verpflichtet, verschreibungs-
pflichtige Arzneimittel auf der Grundlage elektronischer ärztlicher Verordnungen
unter Nutzung der Telematikinfrastruktur abzugeben.
46 Nach seit dem 20. Oktober 2020 geltender Gesetzeslage ist die Gesell-
schaft für Telematik verpflichtet, die Komponenten der Telematikinfrastruktur, die
den Zugriff der Versicherten auf die elektronische ärztliche Verordnung nach
§ 334 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ermöglichen, als Dienstleistung von allgemei-
nem wirtschaftlichem Interesse zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen (§ 360
Abs. 5 Satz 1 SGB V in der vom 20. Oktober 2020 bis zum 8. Juni 2021 gelten-
den Fassung; § 360 Abs. 10 Satz 1 SGB V in der seit dem 9. Juni 2021 geltenden
Fassung).
47 Anstelle der in § 360 Abs. 5 Satz 2 beziehungsweise Abs. 10 Satz 2
SGB V in der bis zum 28. Dezember 2022 geltenden Fassung vorgesehenen
Verordnungsermächtigung zur Regelung von Schnittstellen und ihrer Nutzung
durch Drittanbieter ist der Kreis der zum Empfang von Daten über die Telematik-
infrastruktur Berechtigten in § 361a Abs. 1 SGB V mit Wirkung vom 26. März
2024 auf Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen nach § 33a SGB V,
Krankenkassen, Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, Unternehmen der
privaten Krankenversicherung, Apotheken, Vertragsärzte und Vertragszahn-
ärzte, Krankenhäuser und Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen einge-
grenzt worden. § 361a Abs. 6 SGB V sieht nunmehr die Ermächtigung des
Bundesministeriums für Gesundheit vor, die Datenübermittlung an die in § 361a
Abs. 1 SGB V genannten Berechtigten durch Rechtsverordnung zu regeln (vgl.
dazu Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Pflegepersonalbemessung im
Krankenhaus sowie zur Anpassung weiterer Regelungen im Krankenhauswesen
und in der Digitalisierung [Krankenhauspflegeentlastungsgesetz], BT-Drucks.
20/3876, S. 60 [unter Nr. 27 zu Buchst. d] und S. 61 f.).
48 In der Gesetzesbegründung der Erstregelung heißt es in Bezug auf die
Tätigkeit der Gesellschaft für Telematik, ärztliche Verordnungen und damit auch
entsprechende Zugriffsmöglichkeiten seien ein außerhalb des Wirtschaftslebens
stehendes Medium zur wechselseitigen Durchsetzung sozialversicherungsrecht-
licher Erstattungs- oder Zahlungsansprüche; die sichere Übermittlung und der
Zugriff auf ärztliche Verordnungen stünden keiner eigenständigen wirtschaftli-
chen Tätigkeit offen. In Bezug auf die (inzwischen außer Kraft getretene)
ursprüngliche Verordnungsermächtigung heißt es in der Gesetzesbegründung
weiter, es werde unter Beachtung des grundlegenden Anspruchs an die Sicher-
heit der Telematikinfrastruktur, des öffentlichen Gesundheitsschutzes und der
Datensicherheit ein angemessener Rahmen für die Teilnahme von Drittanbietern
von Mehrwertanwendungen zugelassen. Auch unter Geltung des Makelverbots
nach § 11 ApoG bleibe die Möglichkeit Dritter gewahrt, unter Nutzung der Schnitt-
stelle Mehrwertangebote anzubieten, die nicht die unzulässige Beeinflussung der
freien Apothekenwahl durch Gewährung oder Versprechen eines wirtschaftlichen
Vorteils im Sinne der apothekenrechtlichen Bestimmungen zum Gegenstand hät-
ten (RegE PDSG, BT-Drucks. 19/18793, S. 129, 137).
49 (2) Nach § 360 Abs. 16 Satz 1 SGB V in der seit dem 26. März 2024 gel-
tenden Fassung ist die Bereitstellung und der Betrieb von informationstechni-
schen Systemen, die den Anwendungsfall der Übermittlung von elektronischen
Verordnungen oder elektronischen Zugangsdaten zu elektronischen Verordnun-
gen außerhalb der Telematikinfrastruktur enthalten, untersagt. Von dem Verbot
nicht umfasst ist gemäß § 360 Abs. 16 Satz 2 Nr. 4 SGB V die Bereitstellung
informationstechnischer Systeme durch Anbieter, mit denen Versicherte elektro-
nische Zugangsdaten zu elektronischen Verordnungen direkt an Apotheken
übermitteln können, wenn dabei der Stand der Technik gemäß den Richtlinien
des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik und dem Schutzbe-
darf der Daten eingehalten wird, keine Apotheken oder Gruppen von Apotheken
bevorzugt werden und der Verzeichnisdienst der Gesellschaft für Telematik so-
wie normierte Schnittstellen der Gesellschaft für Telematik für die diskriminie-
rungsfreie Anbindung genutzt werden. Nach § 360 Abs. 16 Satz 3 SGB V sind
unter anderem § 11 Abs. 1 und 1a ApoG zu beachten.
50 Nach der Gesetzesbegründung soll durch § 360 Abs. 16 SGB V sicher-
gestellt werden, dass das Makelverbot beachtet und eine freie Apothekenwahl
gewährleistet wird. Durch die Ausnahmen würden sowohl Anwendungen einzel-
ner Apotheken zur Einlösung von E-Rezepten durch einen Versicherten bei der
jeweiligen Apotheke ermöglicht, als auch Anwendungen, welche eine Einlösung
durch einen Versicherten diskriminierungsfrei bei allen Apotheken ermöglichen
(Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung
der Digitalisierung des Gesundheitswesens [Digital-Gesetz – DigiG], BT-
Drucks. 20/9048, S. 128).
51 (3) Aus der fortgeltenden Herausnahme diskriminierungsfreier Übermitt-
lungsanwendungen aus dem Verbot gemäß § 360 Abs. 16 Satz 1 SGB V folgt
unbeschadet der Aufhebung der früher in § 360 Abs. 5 beziehungsweise Abs. 10
Satz 2 SGB V aF vorgesehenen Verordnungsermächtigung, dass eine digitale
Rezepteinlösung auch unter Zuhilfenahme von Dienstleistern – Dritten im Sinne
des § 11 Abs. 1a ApoG – im Rahmen der apothekenrechtlichen Vorschriften zu-
lässig ist. Dem steht – anders als die Revision der Beklagten meint – nicht entge-
gen, dass der Gesetzgeber die sichere Übermittlung und den Zugriff auf ärztliche
Verordnungen als keiner eigenständigen wirtschaftlichen Tätigkeit offenstehend
bezeichnet (siehe vorstehend Rn. 48), weil sich dies allein auf die nach § 360
Abs. 5 SGB V aF/§ 360 Abs. 10 Satz 1 SGB V von der Gesellschaft für Telematik
zu erbringende „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ be-
zieht. Der nach § 360 Abs. 16 Satz 2 Nr. 4 SGB V zulässigen Möglichkeit der
Bereitstellung informationstechnischer Systeme durch Anbieter, mit denen Ver-
sicherte elektronische Zugangsdaten zu elektronischen Verordnungen direkt an
Apotheken übermitteln, liefe es zuwider, jeden Abschluss eines entgeltlichen Nut-
zungsvertrags zwischen Apotheken und dem Anbieter eines Internetdienstes als
nach § 11 Abs. 1a ApoG unzulässig anzusehen, selbst wenn das gewählte Ver-
gütungsmodell weder die Freiheit der Apothekenwahl noch die flächendeckende
Arzneimittelversorgung durch wohnortnahe Apotheken gefährdet (vgl. Mand,
A&R 2023, 3, 9).
52 Entgegen der Ansicht der Revision folgt aus der in § 361a Abs. 1 SGB V
vorgesehenen Beschränkung der Datenübermittlung an einen enumerativ aufge-
zählten Kreis von Berechtigten, der außerhalb des Systems der gesetzlichen
oder privaten Krankenversicherung stehende Dienstleistungsanbieter nicht um-
fasst, nicht die gesetzgeberische Festlegung auf die Unzulässigkeit jeglicher
Datenübermittlung an andere, in der Vorschrift nicht genannte Drittanbieter.
§ 361a SGB V regelt ausschließlich die Datenübermittlung innerhalb der nach
§ 360 Abs. 10 Satz 1 SGB V von der Gesellschaft für Telematik zur Verfügung
gestellten Telematikinfrastruktur. Dies lässt die Zulässigkeit von Drittangeboten
außerhalb dieser Telematikinfrastruktur nach der in § 360 Abs. 16 Satz 2 Nr. 4
SGB V geregelten Verbotsausnahme unberührt.
53 d) Nach allem ist es sachgerecht, nur solche Angebote dem Verbot des
§ 11 Abs. 1a ApoG zu unterwerfen, bei denen der Vorteil im Sinne eines schutz-
zweckrelevanten Zusammenhangs gerade für das Sammeln, Vermitteln oder
Weiterleiten des Rezepts im Einzelfall gewährt wird. Der dem § 11 Abs. 1a ApoG
zugrundeliegende Schutzzweck ist berührt, wenn bei dem Angebot etwa einer
Internetplattform die Gefahr besteht, dass niedergelassene Apotheken unter wirt-
schaftlichen Druck geraten, sich der Plattform anzuschließen, um dem Verlust
von Verschreibungen vorzubeugen. Der in einem solchen wirtschaftlichen Druck
zum Ausdruck kommende steuernde Einfluss der Plattform auf den Weg von
Rezepten zur Apotheke stellt eine Beeinflussung des Apothekenwettbewerbs
dar, die nicht dem Leitbild einer an heilberuflichen Kriterien orientierten wohnort-
nahen Arzneimittelversorgung durch in pharmazeutischer, wirtschaftlicher und
betrieblicher Hinsicht unabhängige Apotheker entspricht (vgl. Mand, A&R 2023,
3, 7 und 9; Wesser, GuP 2022, 81, 88).
54 e) Mit der vom Senat vorgenommenen restriktiven, an den der Vorschrift
des § 11 Abs. 1a ApoG zugrundeliegenden Gemeinwohlbelangen ausgerichte-
ten Auslegung ist zugleich sichergestellt, dass die Freiheit der Berufsausübung
(Art. 12 Abs. 1 GG) sowie – im Falle von Unionsbürgern – die berufsbezogene all-
gemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der von einem Verbot betroffenen
Anbieter von Leistungen im Zusammenhang mit der Rezepteinlösung nicht un-
verhältnismäßig beeinträchtigt wird.
55 Soweit die Revision der Beklagten die Auffassung vertritt, für die Anwen-
dung des § 11 Abs. 1a ApoG müsse ausreichen, dass mit den Tathandlungen
ein (jeglicher) kommerzieller Zweck verfolgt werde, würdigt sie die (teilweise wi-
derstreitenden) Motive des Gesetzgebers nicht hinreichend und argumentiert
letztlich im Sinne bloßen Konkurrentenschutzes, der allein allerdings – auch im
Bereich der Gesundheitsvorsorge – einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit
gemäß Art. 12 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen kann (BVerfGE 126, 112 [juris
Rn. 99] mwN).
56 f) Ohne Erfolg macht die Revision der Beklagten geltend, das einschrän-
kende Erfordernis eines schutzzweckrelevanten Zusammenhangs zwischen Tat-
handlung und Vorteil führe zu einer ungleichen Bewertung der drei Tatmodalitä-
ten des Sammelns, Vermittelns und Weiterleitens von Rezepten, weil im Falle
des Sammelns eine für die Vorhaltung entsprechender Einrichtungen gezahlte
Gebühr ohne weiteres im Sinne des § 11 Abs. 1a ApoG „für“ das Sammeln ge-
zahlt werde, wohingegen es im Falle des Vermittelns und Weiterleitens an einem
Verstoß fehle, wenn die Höhe der Gebühr nicht an einzelne Übertragungsvor-
gänge anknüpfe. Abgesehen davon, dass die Beklagte im Streitfall nicht geltend
macht, die Klägerin sammele Rezepte unter Verstoß gegen § 11 Abs.1a ApoG,
ist es möglich, das Tatbestandsmerkmal des schutzzweckrelevanten Zusam-
menhangs mit Blick auf die jeweils einschlägige Tathandlung auszulegen.
57 g) Entgegen der Auffassung der Revision der Beklagten lässt sich aus den
Straftatbeständen der §§ 299 f. und §§ 331 ff. StGB kein Einwand gegen das
vom Senat bei der Auslegung des § 11 Abs. 1a ApoG befürwortete Tatbestands-
merkmal des schutzzweckrelevanten Zusammenhangs zwischen Tathandlung
und Vorteil herleiten. Diese Lesart des Tatbestands ist vielmehr – wie das Beru-
fungsgericht zutreffend angenommen hat – zwanglos mit dem strafrechtlichen Er-
fordernis der Unrechtsvereinbarung kompatibel, das den in den genannten Straf-
tatbeständen enthaltenen Worten „als Gegenleistung dafür“ (§§ 299 f., 331
Abs. 2 StGB) oder „für die Dienstleistung einen Vorteil“ (§ 331 Abs. 1 StGB) ent-
nommen wird (zu § 299 StGB vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2003 – 5 StR 489/02,
NJW 2003, 2996 [juris Rn. 23]; zu § 331 StGB vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2011
– 3 StR 492/10 [juris Rn. 20]; vgl. auch Braun, PharmR 2020, 315, 319 f.).
58 h) Im Streitfall fehlt es, wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden
hat, am schutzzweckrelevanten Zusammenhang zwischen Tathandlung und Vor-
teil im Sinne des § 11 Abs. 1a ApoG.
59 Die Klägerin erhält die monatliche, von der Zahl der Transaktionen unab-
hängige Grundgebühr nicht für das Sammeln, Vermitteln oder Weiterleiten von
Rezepten, sondern – wie die Beklagte selbst im Widerklageantrag 1.1 formuliert
hat – für das Zurverfügungstellen einer Marktplatz-Infrastruktur. Die apotheken-
rechtlichen Schutzzwecke, die Wahlfreiheit der Versicherten und eine flächen-
deckende Arzneimittelversorgung durch wohnortnahe Apotheken zu gewährleis-
ten, stehen dem im Streitfall beanstandeten Plattformangebot der Klägerin nicht
entgegen.
60 aa) Die freie Apothekenwahl ist im Streitfall nicht beeinträchtigt.
61 Die in § 31 Abs. 1 Satz 5 SGB V geregelte Apothekenwahlfreiheit basiert
darauf, dass bei Rechtsverhältnissen, die der Erhaltung oder Wiedererlangung
der Gesundheit dienen, der durch Art. 2 GG allen Patienten gewährleisteten Ver-
tragsfreiheit, besonderes Gewicht zukommt (Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank,
ApoG, Stand Mai 2017, § 11 Rn. 204). Die freie Entscheidung der Kunden, von
welcher Apotheke sie ein ihnen verschriebenes Medikament beziehen möchten,
wird durch das Marktplatzmodell der Klägerin nicht beeinträchtigt. Der Kunde
kann vielmehr selbst darüber bestimmen, anhand welcher Parameter er eine
Apotheke auswählt, wenn es etwa seinem Wunsch entspricht, die Apotheke sei-
ner Wahl zunächst nicht persönlich aufsuchen zu müssen (vgl. Prütting,
GesR 2023, 145, 151 f.). Die Online-Plattform bietet Patienten lediglich einen
zusätzlichen Weg für die Einlösung von elektronischen Rezepten (Braun,
A&R 2023, 119, 124).
62 Entgegen der Auffassung der Revision der Beklagten wird die Apotheken-
wahlfreiheit nicht dadurch beschränkt, dass auf dem Marktplatz der Klägerin nur
solche Apotheken angezeigt werden, die einen entsprechenden Partnervertrag
mit ihr abgeschlossen haben. Der Kunde hat vielmehr durch den Aufruf der Platt-
form der Klägerin sein Wahlrecht bereits eigenverantwortlich auf Apotheken kon-
kretisiert, die diesen Kommunikationskanal nutzen (vgl. Kieser/Buckstegge, A&R
2022, 179, 183; Burk/Schoppe/Wessing, PharmR 2023, 325, 330; Deckers,
MedR 2023, 653, 654). Es ist daher – entgegen der Auffassung der Revision –
ohne Bedeutung, ob teilnehmende Apotheken den Kunden der Plattform erst
dann angezeigt werden, wenn diese sich für ein bestimmtes Arzneimittel interes-
sieren.
63 bb) Eine vom Marktplatzmodell der Klägerin ausgehende Gefährdung der
flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch wohnortnahe Apotheken ist
nicht ersichtlich.
64 Die Klägerin bietet die Nutzung ihres Marktplatzes für eine monatliche
Festgebühr an. Eine monatliche, von der Zahl der Transaktionen oder dem mit
ihnen erzielten Umsatz unabhängige Nutzungsgebühr spricht grundsätzlich da-
gegen, dass das Entgelt im Sinne eines schutzzweckrelevanten Zusammen-
hangs gerade für die Vermittlung des E-Rezepts gezahlt wird, sofern – wie vorlie-
gend – keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es sich um eine verdeckte Pro-
vision für die Rezeptvermittlung handelt, etwa weil die geforderte Vergütung mit
Blick auf den gebotenen Leistungsumfang überhöht ist (vgl. Mand, A&R 2023, 3,
10; Burk/Schoppe/Wessing, PharmR 2023, 325, 331; Wesser, GuP 2022, 81,
88).
65 Die Revision der Beklagten wendet ohne Erfolg ein, eine hinreichende
abstrakte Gefährdung der wohnortnahen Versorgung folge schon aus der von
den Gerichten zu respektierenden Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers,
der die Einführung des § 11 Abs. 1a ApoG entsprechend begründet habe. Dieser
Einwand berücksichtigt nicht, dass – wie dargelegt (siehe Rn. 52) – die unter-
schiedlichen gesetzlichen Regelungen und ihre Begründungen hinsichtlich der
Zulässigkeit der Datenübermittlung an Dritte ambivalent sind und es folglich den
Gerichten obliegt, die Anwendung dieser Regelungen zu harmonisieren.
66 IV. Die Revision der Klägerin hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Verur-
teilung zur Unterlassung nach dem Widerklageantrag 1.2 richtet. Mit der vom Be-
rufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Verstoß der Klägerin gegen
§ 3a UWG in Verbindung mit § 8 Satz 2 Fall 2 ApoG nicht angenommen werden.
67 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die vertragliche Verpflichtung der
teilnehmenden Apotheken zur Zahlung einer Gebühr von 10 % des Nettover-
kaufspreises für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verstoße gegen § 8
Satz 2 ApoG. Die Bereitstellung der digitalen Infrastruktur zum Vertrieb nicht ver-
schreibungspflichtiger Arzneimittel stelle – unabhängig vom Vertragstyp – jeden-
falls einen Vermögenswert dar, welcher der teilnehmenden Apotheke im Sinne
des § 8 Satz 2 Fall 3 ApoG während der Vertragsdauer umsatzabhängig über-
lassen werde. Die Nutzungsmöglichkeit der digitalen Infrastruktur als virtueller
Verkaufsraum werde den Apotheken während der Vertragsdauer ähnlich wie bei
einem gemieteten Geschäftsraum gegen eine prozentuale Umsatzbeteiligung
überlassen. Die Höhe der umsatzorientierten Miete sei nicht entscheidend. Auf
eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Apothekers im Einzelfall komme es nicht
an, weshalb Feststellungen zum Verhältnis des Vor-Ort-Geschäfts der Apothe-
ken zum Onlinehandel und zum Verhältnis zwischen verschreibungspflichtigen
und nicht verschreibungspflichtigen Produkten entbehrlich seien. Die Überlas-
sung der digitalen Infrastruktur sei nicht von gänzlich untergeordneter Bedeu-
tung; ebenso sei auch nach den Angaben der Klägerin der Anteil von nichtver-
schreibungspflichtigen Arzneimitteln am Gesamtumsatz von derzeit etwa 5 %
nicht von vornherein als völlig unerheblich anzusehen. Dies hält der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand.
68 2. Nach § 8 Satz 2 ApoG sind Beteiligungen an einer Apotheke in Form
einer stillen Gesellschaft und Vereinbarungen, bei denen die Vergütung für dem
Erlaubnisinhaber gewährte Darlehen oder sonst überlassene Vermögenswerte
am Umsatz oder am Gewinn der Apotheke ausgerichtet ist, insbesondere auch
am Umsatz oder Gewinn ausgerichtete Mietverträge, unzulässig.
69 Auf diese Weise sollen sogenannte partiarische Rechtsverhältnisse, in
denen sich der Gläubiger die beruflichen und wirtschaftlichen Fähigkeiten des
Apothekeninhabers zu Nutze macht und an den Erlösen der Apotheke partizi-
piert, ausgeschlossen werden. Die Regelung des § 8 Satz 2 ApoG ist – ebenso
wie das Verpachtungsverbot des § 9 ApothG – Ausdruck der gesetzgeberischen
Zielvorstellung, dem Apotheker die eigenverantwortliche Führung und Leitung
seines Betriebs sowohl in fachlicher, also wissenschaftlich-pharmazeutischer, als
auch in betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu ermöglichen, ohne (auch nur
indirekt) bei seinen Entscheidungen von Dritten beeinflusst oder bestimmt zu
werden (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1997 – XII ZR 142/95, NJW-RR 1998, 803
[juris Rn. 15] = MDR 1998, 9; Urteil vom 25. April 2002 – 4 StR 152/01, BGHSt
47, 285 [juris Rn. 12]; Urteil vom 27. November 2003 – IX ZR 76/00, NJW 2004,
1523 [juris Rn. 12] = MDR 2004, 439).
70 Die berufliche Verantwortung und Entscheidungsfreiheit des Apothekers
sollen nicht durch unangemessene vertragliche Bedingungen, die ihn in wirt-
schaftliche Abhängigkeit von Dritten bringen, beeinträchtigt werden (vgl. BGH,
Urteil vom 6. Juni 1997 – V ZR 322/95, NJW 1997, 3091 [juris Rn. 10]; Urteil vom
4. Mai 2023 – IX ZR 157/21, WM 2023, 1218 [juris Rn. 34]; BVerwG, PharmR
2015, 446, 449). Dadurch soll sichergestellt werden, dass er seiner öffentlichen
Aufgabe, eigenverantwortlich an der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung
der Bevölkerung mitzuwirken, in sachgerechter Weise nachkommt (vgl. BGH,
Urteil vom 24. September 1979 – II ZR 95/78, BGHZ 75, 214 [juris Rn. 13]). Zur
Beurteilung eines partiarischen Rechtsverhältnisses ist das Gesamtgefüge der
Vereinbarungen zu betrachten (BGH, WM 2023, 1218 [juris Rn. 34]; Sieper in
Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl., § 8 ApoG Rn. 3).
71 3. Der Beurteilung des Berufungsgerichts, die Vereinbarung einer Trans-
aktionsgebühr in Höhe von 10 % des Nettoverkaufspreises bei Bestellung von
nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstoße gegen § 8 Satz 2 ApoG,
liegt ein unzutreffender rechtlicher Maßstab zugrunde.
72 a) Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der von der Beklagten be-
anstandete Partnervertrag im Schwerpunkt als am Umsatz oder Gewinn der Apo-
theke ausgerichteter Dienst- oder Mietvertrag im Sinne von § 8 Satz 2 Fall 2
ApoG zu qualifizieren ist. Diese Frage ist dahin zu entscheiden, dass dienstver-
tragliche Elemente überwiegen (vgl. Burk/Schoppe/Wessing, PharmR 2023, 325,
326; aA Mand, A&R 2022, 219, 222 f.; ders., A&R 2023, 127, 134). Die Klägerin
verpflichtet sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts insbesondere
dazu, dauerhaft eine mit dem Internet verbundene Marktplatz-Infrastruktur bereit-
zustellen und aufrechtzuerhalten, damit die teilnehmenden Apotheken Bestellun-
gen von Kunden empfangen, bearbeiten und ausführen können. Der Vertrags-
zweck liegt nicht in erster Linie in der Zurverfügungstellung eines digitalen Inhalts,
also der Bereitstellung von Daten, sondern in der Bereitstellung einer digitalen
Dienstleistung, die die Verarbeitung von Daten und Interaktionen mit von Nutzern
hochgeladenen Daten ermöglicht (vgl. § 327 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB).
73 b) Die Leistung von Diensten kann einen im Sinne des § 8 Satz 2 Fall 2
ApoG überlassenen Vermögenswert darstellen (VG Mainz, GewArch 2009, 125
[juris Rn. 46]; Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank, ApoG, Stand Mai 2017, § 8
Rn. 44; Krämer in Krämer/Rixen, ApoG, § 8 Rn. 23; Schiedermair/Pieck, ApoG,
3. Aufl., § 8 Rn. 162; aA LG Hamburg, Beschluss vom 4. Januar 2012
– 327 O 3/12, Umdruck S. 2). So verhält es sich auch im Streitfall, in dem die Klä-
gerin als Betreiberin eines Internet-Marktplatzes diesen Markplatz Apotheken zur
Abwicklung von Verkaufsvorgängen über nicht verschreibungspflichtige Arznei-
mittel zur Verfügung stellt.
74 c) Das Berufungsgericht hat allerdings zu Unrecht angenommen, dass die
im Streitfall pro Verkaufsvorgang zu zahlende Vergütung entgegen § 8 Satz 2
ApoG am Umsatz oder am Gewinn „der Apotheke“ ausgerichtet ist.
75 aa) § 8 Satz 2 ApoG soll Außenstehenden, die keiner Betriebserlaubnis
bedürfen und damit auch keiner Zuverlässigkeitsprüfung nach § 2 Abs. 1 Nr. 4
ApoG unterliegen, die Möglichkeit nehmen, durch die Ausnutzung gesellschafts-
rechtlicher Gestaltungsformen beziehungsweise direkter oder indirekter Beteili-
gungen Einfluss auf die Betriebsführung zu nehmen, ohne dabei nach außen in
Erscheinung zu treten (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Jugend, Familie und Gesundheit zu dem von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Apothe-
kenwesen, BT-Drucks. 8/3554, S. 14, 16).
76 bb) Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen nicht die Annahme,
dass durch die dort vorgesehene transaktionsabhängige Vergütung von 10 %
des Nettoverkaufspreises von apothekenpflichtigen Arzneimitteln, die nicht der
Verschreibungspflicht unterliegen, eine wirtschaftliche Abhängigkeit der teilneh-
menden Apotheken vom Betreiber der Online-Plattform zu besorgen ist.
77 Eine Vergütung, die sich – wie hier – am Umsatz oder am Gewinn einzelner
Geschäfte ausrichtet, kann nur dann als im Sinne von § 8 Satz 2 ApoG am Um-
satz oder am Gewinn der Apotheke ausgerichtet angesehen werden, wenn Um-
satz und Gewinn der Apotheke zu einem wesentlichen Teil auf den auf diese
Weise getätigten Geschäften beruhen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, A&R 2009,
175 [juris Rn. 38]; VG Mainz, GewArch 2009, 125; OLG Naumburg, WRP 2020,
110 [juris Rn. 91]; LG Hamburg, Beschluss vom 4. Januar 2012 – 327 O 3/12,
Umdruck S. 2 f.; LG Berlin, Urteil vom 25. Mai 2023 – 93 O 42/22, Umdruck S. 12;
Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank, ApoG, Stand Mai 2017, § 8 Rn. 58, 59;
Saalfrank in Halbe, Handbuch Kooperationen im Gesundheitswesen, Stand
August 2022, D 1200 Rn. 10; Grau in Stellpflug/Middendorf, Gesundheitsrecht
Kompendium für die Rechtspraxis, Stand Juli 2018, J 1000 Rn. 19; Deckers,
MedR 2023, 653, 654; Kieser/Buckstegge, A&R 2022, 179, 181; Burke/Schoppe/
Wessing, PharmR 2023, 325, 328; aA wohl Mand, A&R 2022, 219, 224).
78 Konkrete Feststellungen dazu, dass die mit dem Widerklageantrag 1.1 an-
gegriffene Vertragsgestaltung geeignet wäre, die wirtschaftliche Unabhängigkeit
der teilnehmenden Apotheken zu gefährden, hat das Berufungsgericht nicht ge-
troffen, insbesondere nicht dazu, welchen Anteil an Umsatz und Gewinn der Ver-
trieb von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln insgesamt ausmacht, so
dass ermittelbar wäre, welcher Anteil auf die zehnprozentige Transaktionsgebühr
entfällt.
79 C. Danach ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Auf die Revi-
sion der Klägerin ist das angefochtene Urteil unter Zurückweisung des Rechts-
mittels im Übrigen aufzuheben, soweit darin hinsichtlich des Widerklagean-
trags 1.2 zu ihrem Nachteil erkannt worden ist. Im Umfang der Aufhebung ist die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Re-
vision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil die Sache insoweit nicht
entscheidungsreif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
80 In der wiedereröffneten Berufungsinstanz wird das Berufungsgericht die
Begründetheit des Widerklageantrags 1.2 erneut zu prüfen und den Parteien Ge-
legenheit zu geben haben, dazu vorzutragen, ob die angegriffene Vertragsge-
staltung die wirtschaftliche Unabhängigkeit der teilnehmenden Apotheken oder
ihre Fähigkeit zum selbstbestimmten Handeln bei der Auswahl, Beschaffung und
dem Verkauf der Arzneimittel gefährdet. Ferner hat das Berufungsgericht – von
seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen zur Begründet-
heit des Widerklageantrag 1.2 getroffen, soweit die Beklagte ihn hilfsweise auf
einen kartellrechtlichen Verstoß gegen Art. 101 AEUV in Verbindung mit Art. 4a
Vertikal-GVO (2022) gestützt hat.
Koch Löffler Schwonke
Feddersen Odörfer
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 08.12.2022 – 13 O 17/22 KfH –
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 13.03.2024 – 6 U 418/22 –