OLG Frankfurt, Urteil vom 08.07.2021 – 6 U 126/20 – Tatbestandswirkung eines BfArM-Bescheids

Thema:
Ein Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), in welchem festgestellt wird, dass ein Produkt kein zulassungspflichtiges Arzneimittel darstellt, entfaltet Tatbestandswirkung, sofern dem Verwaltungsakt keine Fehler anhaften, die diesen schlechterdings unerträglich, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lassen. Ein einfacher Rechtsfehler kann die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes nach § 44 VwVfG grundsätzlich nicht begründen. Ein solches Produkt darf daher als Medizinprodukt beworben werden und zwar unabhängig von der Frage, ob der Bescheid inhaltlich rechtmäßig ergangen ist.

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SG Berlin, Urteil vom 20.06.2022 – S 91 KR 2213/20 WA – Nachweis des medizinischen Nutzens bei Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis

Thema:
Der Beurteilungsmaßstab an den erforderlichen Nachweis eines medizinischen Nutzens darf nicht zu hoch angelegt werden. Geht es nur um eine Alternative zu einem gelisteten herkömmlichen Hilfsmittel oder Verbandmittel, reicht es aus, wenn die Produkte zumindest den gleichen therapeutischen Nutzen (Ruhigstellung, Fixierung, Möglichkeit der Mobilisation) wie die herkömmlicherweise benutzten Produkte (Gipsverband, Orthese, orthopädische Schuhe) aufweisen. Das Gesetz verlangt nur den Nachweis eines „therapeutischen Nutzens“ eines neuen Hilfsmittels, nicht aber einen therapeutischen Zusatznutzen oder Vorteil gegenüber der bisherigen Behandlungsweise. Es ist im Rahmen der Therapiefreiheit eine Frage des Einzelfalls, wie der Arzt eine Verletzung des Versicherten behandelt. Nur in Ausnahmefällen kann dem Hersteller ein Vorlegen der Ergebnisse klinischer Prüfungen abgefordert sein. Der medizinische Nutzen muss gemäß § 139 Abs. 4 S. 1 SBG V nicht in allen Fällen nachgewiesen werden, sondern nur, „soweit“ dies „erforderlich“ ist.

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OLG Hamm, Urteil vom 21.04.2022 – 4 U 39/22 – Maßgeblich für die Frage, ob Werbeangaben gesundheitsbezogene Wirkungsangaben enthalten, ist das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten

Thema:
Bei Art. 7 der MDR handelt es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG. Gem. Art. 7 lit. a) MDR ist es bei der Kennzeichnung, den Gebrauchsanweisungen, der Bereitstellung, der Inbetriebnahme und der Bewerbung von Produkten untersagt, Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen zu verwenden, die den Anwender oder Patienten hinsichtlich der Zweckbestimmung, Sicherheit und Leistung des Produkts irreführen können, indem sie dem Produkt Funktionen und Eigenschaften zuschreiben, die es nicht besitzt. Von dieser Irreführungsvariante sind die bislang von § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG erfassten Angaben über die Wirkung des Medizinprodukts erfasst. Insoweit kann bei der Anwendung der Vorschrift auf die Kriterien der Rechtsprechung zu § 3 HWG zurückgegriffen werden. Letztlich gelten also nach beiden Bestimmungen die gleichen Anforderungen für Wirkungsaussagen für Medizinprodukte. Maßgeblich ist insoweit das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten, aber im Hinblick auf die von jedermann im Internet abrufbare beanstandete Werbung, durchaus auch das allgemeine Publikum bzw. entsprechend interessierte Laien. Gehören die Adressaten der Werbeaussagen dabei verschiedenen Kreisen an, so reicht die Irreführung in einem dieser Kreise aus.

VG Berlin, Urteil vom 10.01.2022 – 14 K 792.17 – Vertriebsuntersagung aufgrund des Fehlens eines erforderlichen, validierten Aufbereitungsverfahrens

Thema:
Ein Medizinprodukt darf nur in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn es bei sachgemäßer Lieferung, korrekter Installation und Instandhaltung und seiner Zweckbestimmung entsprechender Verwendung, der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte entspricht. Unter Berücksichtigung seiner Zweckbestimmung muss es den in Anhang I festgelegten grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen genügen. Die Auslegung muss insbesondere eine leichte und sichere Handhabung erlauben. Erforderlichenfalls werden die Produkte zudem so ausgelegt, dass ihre Reinigung, Desinfektion und/oder wiederholte Sterilisation leicht möglich ist.

Bei der Abgabe an Verbraucher ist die erforderliche Aufbereitung jedenfalls mit Blick auf die durchzuführende Sterilisation nicht leicht möglich, wenn hierfür ein Autoklav oder eine Sterilisationsdienstleistung benötigt wird.
Die Erfordernisse der Aufbereitung ist dann in finanzieller und organisatorischer Hinsicht mit einem derart hohen Aufwand verbunden, dass die ernsthafte Besorgnis begründet ist, ein Verbraucher könnte auf die erforderliche Sterilisation der Produkte verzichten. Diese Gefahr rechtfertigt eine Untersagungsverfügung.

VG Neustadt a. d. Weinstraße, Beschluss vom 07.01.2022 – 5 L 1239/21.NW – Rechtmäßigkeit der Untersagung eines Betriebs einer Teststelle auf SARS-CoV-2

Thema:
Medizinprodukterechtlich obliegt es den Betreibern, die Beachtung eines validierten Verfahrens beim Umgang mit den Coronatests, die als In-vitro-Diagnostika dem Medizinprodukterecht unterliegen, nachzuweisen. In einem Corona-Testzentrum genügt der Anschein, dass dort nicht valide getestet wird und unrichtige negative Testzertifikate ausgestellt werden, um eine drohende Gefahr für die öffentliche Sicherheit gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 MPG zu begründen.

OLG Köln, Urteil vom 17.12.2021 – 6 U 91/21 – Werbeaktion „GRATIS TESTEN“

Thema:
Bei einer Werbeaktion „Inkontinenzhöschen GRATIS TESTEN“ wird nicht das Produkt selbst unentgeltlich zugewandt, sondern die Rückerstattung des Kaufpreises.

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OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.12.2021 – 6 U 121/20 – Bei der Anwendung von Art. 7 a) der VO 2017/745 kann auf die Kriterien der Rechtsprechung zu § 3 HWG zurückgegriffen werden

Thema:
Gem. Art. 7 a) MDR ist es bei der Bewerbung von Produkten untersagt, Texte und Bezeichnungen zu verwenden, die den Anwender oder Patienten hinsichtlich der Zweckbestimmung, Sicherheit und Leistung des Produkts irreführen können, indem sie dem Produkt Funktionen und Eigenschaften zuschreiben, die es nicht besitzt. Von dieser Irreführungsvariante sind die bislang von § 3 S. 2 Nr. 1 HWG erfassten Angaben über Wirkungen des Medizinproduktes erfasst. Insoweit kann bei der Anwendung der Vorschrift auf die Kriterien der Rechtsprechung zu § 3 HWG zurückgegriffen werden. Es gelten also für beide Bestimmungen die gleichen Anforderungen für Wirkungsaussagen für Medizinprodukte.

Auch die klinische Bewertung des Medizinprodukts im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens nach § 19 MPG und die danach vorzunehmende Zweckbestimmung entbinden das Unternehmen nicht von den
Anforderungen des heilmittelwerberechtlichen Irreführungsverbots.

VG Köln, Urteil vom 05.10.2021 – 7 K 5572/16 – Klassifizierung eines Medizinproduktes

Thema:
Bei der Klassifizierung von Medizinprodukten ist die Regel 14 des Anhangs VIII der neuen Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 im Vergleich zur Regel 13 des Anhangs IX der Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG
im Wortlaut neu geregelt und deshalb abweichend auszulegen.

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.09.2021 – 3 MB 22/21 – keine Anwendung der Übergangsvorschriften gemäß Artikel 120 Abs. 3 MDR für Benannte Stellen, wenn die Benennung nicht gemäß Artikel 120 Abs. 1 MDR ungültig geworden ist

Thema:
Das OVG bestätigt den Beschluss des VG (siehe MPJ 2022,75) und führt aus, dass Art. 120 Abs. 3 MDR nur Fälle erfasst, in denen die Benennung der Benannten Stelle nach Art. 120 Abs. 1 MDR ungültig geworden ist,
weshalb die Übergangsbestimmungen nicht für die Benannte Stelle ECM gelten sollen, da die Benennung von ECM aufgrund von Mängeln in der Aufgabenwahrnehmung ausgelaufen sei. Aus diesem Grund könne von einer
fortlaufenden angemessenen Überwachung aller geltenden Anforderungen durch diese Benannte Stelle schon aus teleologischen Gründen nicht ausgegangen werden

BVerwG, Urteil vom 14.07.2021 – 3 C 2.20 – Anspruch auf Informationen zur durchgeführten Risikobewertung

Thema:
Der Anspruch auf Auskünfte zu durchgeführten Risikobewertungen nach § 22 Abs. 3 Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) erstreckt sich nicht auf Daten und Unterlagen, die die zuständige Bundesoberbehörde im Verfahren der Risikobewertung nicht angefordert oder sonst herangezogen hat und die für das Ergebnis der Risikobewertung nicht relevant sind.

VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.06.2021 – 1 B 167/20 – Keine Anwendung der Übergangsvorschriften gemäß Artikel 120 Abs. 1 MDR für die Benannte Stelle ecm

Thema:
Die Übergangsvorschrift gemäß Artikel 120 Abs. 1 MDR findet keine Anwendung, wenn die Benennung einer Benannten Stelle aus anderen Gründen und nicht erst aufgrund des Geltungsbeginns der MDR erloschen ist. Da
die Benennung bereits vor dem Geltungsbeginn erloschen war, kann auch von keiner fortlaufenden Überwachung gemäß Artikel 120 Abs. 3 S. 3 MDR ausgegangen werden.