Datum: 26. September 2019

Gericht: OVG NRW

Spruchkörper: 13. Senat

Entscheidungart: Urteil

Aktenzeichen: 13 A 3290/17

ECLI: ECLI:DE:OVGNRW:2019:0926.13A3290.17.00


Vorinstanz: VG Köln

Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 14. November 2017 wird zurückgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Die Revision wird zugelassen.


1   Tatbestand:

 

2   Die Beteiligten streiten über die Einordnung des Präparats „S.         ® O.           “ als Präsentationsarzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) in Abgrenzung zum stofflichen Medizinprodukt i.S.d. § 3 Nr. 1 Buchst. a) Medizinproduktegesetz (MPG).

 

3   Die Klägerin bringt „S.         ® O.          “ als Medizinprodukt auf den Markt. Das Präparat enthält ausweislich der Gebrauchsinformation pro 1,0 g Lösung 25,00 mg Silbereiweiß-Acetyltannat (SEAT), 0,25 mg Aloe vera Gel, Chlorhexidin-Digluconat sowie Wasser. Die Zusammensetzung ist teilweise identisch mit der zweier anderer Produkte der Klägerin, die ebenfalls als Medizinprodukte im Verkehr sind, jedoch bis 2011 als fiktive Arzneimittel nach § 105 AMG zugelassen waren („S1.           Q.   J.          N. O1.            “ und „S1.           B.        E.                Q1.          x % N.  O1.            “). Diese Mittel enthalten als Wirkstoff ebenfalls boraxfreies Silbereiweiß-Acetyltannat in einer Menge von 30 mg pro 1,0 g Lösung, jedoch kein Aloe-Vera-Gel. Im Nachzulassungsverfahren wurde der Antrag auf Verlängerung der fiktiven Zulassung dieser Präparate mit der Begründung versagt, dass die therapeutische Wirksamkeit nicht hinreichend begründet worden sei. Die Einordnung dieser Präparate als Arzneimittel durch die Beklagte ist Gegenstand der Verfahren 13 A 3292/17 und 13 A 3293/17.

 

4   In der Gebrauchsinformation, die in der technischen Dokumentation von Januar 2011 enthalten ist, heißt es zum Anwendungsbereich von S.         ®: „Das Präparat eignet sich bei Reizungen der Nasenschleimhaut bedingt durch eine virale Rhinitis. Es pflegt außerdem die gereizte Nasenschleimhaut und unterstützt deren Regenerierung während des Schnupfens.“ In einer Gebrauchsinformation mit Stand September 2011 wird das Erzeugnis u.a. „zur unterstützenden Behandlung bei Schnupfen“ und „zur Behandlung von Schnupfen“ ausgewiesen.

 

5   In der technischen Dokumentation von Januar 2011 wird zur Einordnung als Medizinprodukt der Klasse I ausgeführt, das Präparat habe eine physikalisch-che-mische Hauptwirkung auf die Nasenschleimhaut. Diese Wirkung sei auf ein nicht-resorbierbares kolloidales Trägersystem zurückzuführen, aus dem kontinuierlich geringe Mengen Acetyltannat freigesetzt würden. Acetyltannat wirke adstringie-rend. Es führe zu einer Abdichtung der obersten Zellschicht des Nasenepithels und damit zu einer Reduktion des Nasensekrets. Außerdem sei aufgrund der Schrumpfung der obersten Zellschicht des Nasenepithels eine Veränderung der Membranlipide hin zu einem Gel-Zustand denkbar, die das Eindringen der Rhino-virus-DNA in die Epithelzelle beeinflussen könne. Auf diese Weise könne der adstringierende Effekt von Acetyltannat eine günstige Wirkung auf den Schwere-grad der Symptome einer viralen Rhinitis haben. Das nicht-resorbierbare Träger-gerüst bestehe aus denaturiertem Casein ohne eigene biologische Aktivität. Seine räumliche Struktur werde durch kovalent an Bestandteile des Casein ge-bundenes Silber stabilisiert. Das Trägergerüst diene zum einen als Depot für Acetyltannat. Zum anderen könne es als Schutzbarriere auf der Nasenschleimhaut fungieren, die das Andocken der Viren an den Rezeptor verhindere. Auch das enthaltene Aloe Vera Gel wirke physikalisch-chemisch, indem es sich als elastischer Film über die gereizte Nasenschleimhaut lege, deren Austrocknung verhindere und so die Nasenschleimhaut pflege, um die Regeneration zu unterstützen.

 

6   Mit Bescheid vom 16. Januar 2014 stellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Antrag der zuständigen Landesbehörde nach § 21 Abs. 4 AMG fest, dass es sich bei dem Präparat um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handele. Es erfülle die Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AMG. Die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Präparats werde mit den Bestandteilen SEAT und Chlorhexidin auf pharmakologische Weise erreicht. Das Produkt sei außerdem Präsentationsarzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG.

 

7   Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat die Klägerin fristgerecht Klage erhoben und insbesondere geltend gemacht:

 

8   Ihr Präparat sei ein Medizinprodukt der Klasse I und weder ein Funktions-, noch ein Präsentationsarzneimittel. Die „Q2.                L.        – und I.                  GmbH“ I1.     bringe mit Billigung der dortigen Überwachungsbehörde ein in Zusammensetzung und Bezeichnung identisches Präparat als Medizinprodukt auf den Markt.

 

9   In dem im Jahr 2008 durchgeführten Beratungsverfahren habe die Beklagte festgestellt, dass der Wirkmechanismus von SEAT wissenschaftlich nicht belegt sei. Eine pharmakologische Wirkung im Sinne der in der sog. Borderline-Leitlinie MEDDEV 2.1/3, rev. 3, der Europäischen Kommission enthaltenen Definition habe die Beklagte nicht nachgewiesen. Sie verkenne den Unterschied zwischen Silbereiweiß und Silbereiweiß-Acetyltannat, das sie fälschlich für antiseptisch halte. Antiseptisch wirke allenfalls der Bestandteil Chlorhexidin-Digluconat, der in dem Produkt aber nur als Konservierungsmittel in einer Konzentration von 0,01 % enthalten sei. Belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse über eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung des Präparats lägen nicht vor. Der Wirkmechanismus des Wirkstoffes SEAT sei in der wissenschaftlichen Literatur nicht nachvollziehbar beschrieben und durch die vom BfArM zitierte veraltete Fachliteratur nicht belegt. Die Bemühungen um den wissenschaftlichen Nachweis einer pharmakologischen Wirksamkeit im Nachzulassungsverfahren der im Wesentlichen identisch zusammengesetzten Produkte „S1.           Q.   J.          N.  O1.            “ und „S1.           B.       e.                q.         x % N.  O1.            “ seien gerade erfolglos geblieben. Die Beklagte verhalte sich widersprüchlich, wenn sie nunmehr eine pharmakologische Wirkung behaupte.

 

10   Sie, die Klägerin, habe nun Gutachten vorgelegt, die die Einordnung des Präparats als Medizinprodukt belegten. Der Wirkungsmechanismus werde von dem Sachverständigen Dr. T.        sowohl in der vorlegten technischen Dokumentation von Januar 2011 als auch in dem Gutachten vom 28. Dezember 2014 zutreffend dargelegt. Danach beruhe die adstringierende Wirkung von SEAT zum einen auf der Fällung von löslichen Proteinen des Nasensekrets durch das aus dem Trägersystem freigesetzte Diacetyltannat, die zu einer mechanischen Abdichtung der obersten Zellschicht der Nasenschleimhaut führe. Da die löslichen Proteine des Nasensekrets im Überschuss vorlägen, sei eine direkte Reaktion des Diacetyltannats mit membranständigen Proteinen des Nasenschleimhautepithels zwar theoretisch denkbar, aber unwahrscheinlich. Zum anderen sei das an das Trägersystem gebundene Diacetyltannat in der Lage, interstitielles Wasser der obersten Zellschicht der Nasenschleimhaut zu binden, wodurch es zu einem passiven „Zusammenrücken“ der obersten Zellschicht komme und die interzellulären Zwischenräume der obersten Schicht der Nasenschleimhaut geschlossen würden. Die dadurch theoretisch mögliche Verschiebung des Sol-Gel-Gleichge-wichts der Zellmembranlipide hin zu einem Gel-Zustand, die das Eindringen der Rhinovirus-DNA in die Epithelzelle beeinflussen könne, sei ein hypothetischer Wirkansatz. Er sei nicht belegt und aufgrund der anatomischen Gegebenheiten der Nasenschleimhaut als untergeordnet einzustufen. Eine bakterizide/bakterio-statische oder viruzide/virustatische Wirkung von Diacetyltannat sei nicht belegt. Auch eine mit Tannin vergleichbare gerbende Wirkung habe Diacetyltannat nicht. Eine solche würde irreversible Schädigungen der Nasenschleimhaut nach sich ziehen, die nach der Produktbeobachtung auszuschließen seien. Die in dem nicht-resorbierbaren Trägergerüst enthaltenen Silberionen seien inaktiv und ohne anderweitige Wirkung. Durch die im Laufe des Verfahrens vorgelegten mikrobio-logischen Untersuchungen des Einflusses des Produkts auf drei Bakterien-stämme sowie die ergänzenden Stellungnahmen des Dr. T.        vom 11. Juni 2016 und vom 20. Dezember 2016 sei nachgewiesen, dass das Wachstum bzw. die Vermehrung der Bakterien durch den Wirkstoff SEAT nicht nennenswert gehemmt werde.

 

11   Eine pharmakologische Wirkung sei – auch bzgl. des adstringierenden Effekts –damit nicht belegt. Insbesondere sei nicht jede biochemische Wirkung auch pharmakologisch. Der adstringierende Effekt beruhe nicht auf einer Wechselwirkung zwischen dem Substrat und den Schleimhautproteinen. Die löslichen extrazellulären Proteine des Nasensekrets sowie interstitielles Wasser seien weder Rezeptoren noch zelluläre Bestandteile, deren Beteiligung die Leitlinie MEDDEV 2.1/3 für eine pharmakologische Wirkung voraussetze. Die Hauptwirkweise des Präparats sei vielmehr als physikalisch, physikalisch-chemisch oder physikalisch-mechanisch zu bezeichnen.

 

12   Das Präparat sei auch kein Präsentationsarzneimittel. Für die Abgrenzung von Medizinprodukten und Arzneimitteln könne nicht auf die Aufmachung abgestellt werden, weil beide Produktarten eine medizinische Zweckbestimmung hätten. Vielmehr sei die Abgrenzung nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 und § 3 Nr. 1 MPG allein anhand der bestimmungsgemäßen Hauptwirkung vorzunehmen. Auf pharmakologische Nebeneffekte komme es nicht an. Da S.         nach der Hauptwirkweise ein Medizinprodukt sei, finde die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG Anwendung, nach der das Arzneimittelgesetz nicht gelte. Für die Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG sei kein Raum.

 

13   Davon unabhängig dürfe die Beweislast für das Vorliegen der maßgeblichen pharmakologischen Hauptwirkung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht dem Hersteller auferlegt werden. Vielmehr setze die Einordnung als Funktionsarzneimittel voraus, dass die pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung des konkreten Produkts wissenschaftlich festgestellt sei.

 

14   Die Klägerin hat beantragt,

 

15   den Bescheid des BfArM vom 16. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2014 aufzuheben.

 

16   Die Beklagte hat beantragt,

 

17   die Klage abzuweisen.

 

18   Sie hat im Wesentlichen vorgetragen: Die pharmakologische Wirkung des Präparats sei auch im Nachzulassungsverfahren nie in Frage gestellt worden. Vielmehr sei es um die therapeutische Wirksamkeit gegangen. Deren Nachweis sei nicht Voraussetzung für die Einordnung als Funktionsarzneimittel, sondern erst für die Arzneimittelzulassung.

 

19   Sie sei nicht verpflichtet, den genauen Wirkmechanismus des Präparats der Klägerin zu belegen. Ausreichend sei, dass ein pharmakologischer Wirkmechanismus insgesamt nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bejaht werden könne. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergebe sich nichts anderes. Nach dessen Auslegung der Begriffsbestimmung in der MEDDEV-Leitlinie sei von einer pharmakologischen Wirkung nicht nur dann auszugehen, wenn es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen der fraglichen Substanz und einem zellulären Bestandteil des Körpers des Anwenders komme, sondern auch wenn eine Wechselwirkung zwischen dieser Substanz und einem beliebigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil bestehe. Danach habe das Präparat der Klägerin eine pharmakologische Wirkung. Der Reaktionsmechanismus von SEAT sei zwar nicht im Detail geklärt. In der wissenschaftlichen Literatur werde aber angenommen, dass er über adstringierende und antiseptische Reaktionen zu erklären sei. Die adstringierende bzw. antimikrobielle/bakteriostatische Wirkung beruhe auf Wechselwirkungen zwischen dem Substrat (Diacetyltannin/Silber/Silberionen) sowie den obersten Zellschichten (Proteinen) der Nasenschleimhaut und den Bakterien/mikrobiellen Erregern. Die biochemischen Reaktionen führten dazu, dass in den Proteinen gebundenes Wasser verdrängt, so die Struktur der Proteine verändert werde und eine entzündungshemmende Wirkung auf die Nasenschleimhaut entstehe. Es bilde sich erstens eine Schutzschicht an der Schleimhaut des Nasenepithels, die das Eindringen etwa von Bakterien verhindere. Zweitens werde die Bakterienzellwand geschädigt, was deren Abtötung zur Folge haben könne. Auch der Gutachter der Klägerin schließe eine adstringierende Wirkung des Diacetyltannins mit membranständigen Proteinen des Nasenschleimhautepithels nicht aus, sondern halte sie lediglich für unwahrscheinlich. Wenn der Gutachter erkläre, dass das im Trägersystem gebundene Diacetyltannin in der Lage sei, interstitielles Wasser der obersten Epithelschicht zu binden, wodurch es zu einem passiven „Zusammenrücken“ der obersten Zellschicht des Nasenepithels komme, bestätige er den Prozess der Denaturierung der obersten Zellschicht der Nasenschleimhaut. Die von der Klägerin vorgelegten mikrobiologischen Untersuchungen an drei Bakterienstämmen zeigten jedenfalls bei der Bakterienart Pseudomonas aeruginosa eine keimreduzierende Wirkung von SEAT. Dies habe auch der Sachverständige Dr. T.        bestätigt und auf die Notwendigkeit einer validen statistischen Auswertung weiterer Experimente hingewiesen.

 

20   Sollte die pharmakologische Wirkung nicht hinreichend nachgewiesen sein, falle das Produkt aufgrund seiner Aufmachung jedenfalls unter die Definition des Präsentationsarzneimittels. Dies gelte umso mehr als die hinsichtlich der Zusammen-setzung und des Anwendungsgebietes nahezu identischen Produkte „Rhinogut-tae pro infantibus N.  O1.            “ und „S1.           B.       e.                 q.          x % N.  O1.            “ viele Jahre als Arzneimittel im Verkehr gewesen seien. Dies präge auch die Verbrauchererwartung hinsichtlich des Produkts „S.         O.         “.

 

21   Vom Begriff des Präsentationsarzneimittels würden auch (potentielle) Medizinprodukte umfasst. Sei danach die Arzneimitteleigenschaft zu bejahen, erfolge die Abgrenzung zum Medizinprodukt in einem zweiten Schritt anhand der bestimmungsgemäßen Hauptwirkung. Wenn die vom Hersteller angenommene Hauptwirkung aus wissenschaftlicher Sicht nicht hinreichend gesichert sei, vorrangige arzneiliche Wirkungen aber auch nicht ausgeschlossen seien, bleibe das Mittel gemäß der Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG dem Regime des Arzneimittelrechts zugeordnet. Vorliegend sei ein Rückgriff auf die Zweifelregelung aber nicht einmal erforderlich. Überzeugende Anhaltspunkte für eine nicht pharmakologische, sondern physikalische Wirkung seien nicht ersichtlich.

 

22   Die Produktkategorie der Medizinprodukte dürfe nicht als Auffangbecken für solche Präparate dienen, die den Wirksamkeitsanforderungen des Arzneimittelgesetzes nicht genügten. Darauf, ob das Präparat in einem anderen Bundesland von den dortigen Überwachungsbehörden als Medizinprodukt eingestuft worden sei, komme es nicht an. Die Entscheidung der Beklagten gelte bundesweit und binde die Überwachungsbehörden.

 

23   Mit Urteil vom 14. November 2017 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

 

24   Das Präparat sei nach seinem äußeren Erscheinungsbild ein Präsentationsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG.

 

25   Entgegen der Auffassung der Klägerin schieden Präparate, die als stoffliche Medizinprodukte vertrieben würden und eine physikalische Wirkungsweise behaupteten, nicht von vornherein aus dem Begriff des Präsentationsarzneimittels aus. Zwar sei der Begriff des stofflichen Medizinprodukts nach § 3 Nr. 1 Buchst. a) MPG teilidentisch mit dem Begriff des Präsentationsarzneimittels, nämlich soweit beide Produktgruppen Stoffe mit einer therapeutischen Zweckbestimmung seien. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG biete für eine Auslegung, die Medizinprodukte ausschließe, keine Anhaltspunkte. Vielmehr sei der Begriff des Präsentationsarzneimittels nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs weit auszulegen. Dies habe nicht zur Folge, dass stoffliche Medizinprodukte stets unter das Regelungsregime des Arzneimittelrechts fielen. Denn es sei auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob auch die Voraussetzungen eines Medizinprodukts nach § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 3 Nr. 1 MPG erfüllt seien, was davon abhänge, welche hauptsächliche Wirkungsweise das Mittel habe (§ 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG).

 

26   Vorliegend greife die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG nicht ein, da sich nicht eindeutig feststellen lasse, ob das Erzeugnis der Klägerin nach seiner Hauptwirkweise ein Medizinprodukt sei. Die von der Klägerin beanspruchte physikalische und nicht-pharmakologische Wirkungsweise des eingesetzten Wirkstoffs SEAT sei wissenschaftlich – auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Gutachten des Sachverständigen Dr. T.        – nicht feststellbar.

 

27   Eine pharmakologische Wirkungsweise des Wirkstoffs sei nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Nachzulassung des identischen Fertigarzneimittels aus Gründen der unzureichend begründeten Wirksamkeit versagt worden sei. Der fehlende Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit führe zwar zur Versagung der Zulassung und damit zum Wegfall der Verkehrsfähigkeit, nicht aber zum Entfallen der Arzneimitteleigenschaft.

 

28   Auch scheide eine pharmakologische Wirkung nicht deshalb aus, weil eine rezeptor-vermittelte Wirkung im Sinne der Definition der MEDDEV-Leitlinie nicht festgestellt sei. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs deute auf eine am Schutzzweck des Arzneimittelgesetzes orientierte Auslegung des Begriffs der pharmakologischen Wirkung hin, die nicht auf den Wortlaut der MEDDEV-Leitlinie 2.1/3 rev. 3 beschränkt sei. In der wissenschaftlichen Literatur sei anerkannt, dass es neben den rezeptorvermittelten Wirkungen eines Arzneistoffs auch andere Wirkungen gebe, die nicht auf der unmittelbaren und spezifischen Anbindung eines Stoffs an einen Rezeptor beruhten. Zu den auf diese Weise wirkenden Arzneistoffen gehörten auch solche, die an eine Zellmembran anbänden und durch eine Steigerung der Zellmembranpermeabilität einen Einfluss auf physiologische Prozesse hervorriefen. Für das Präparat der Klägerin werde ein umgekehrter Mechanismus diskutiert, nämlich eine Verringerung der Permeabilität der Zellmembran durch Proteindenaturierung, also eine Abdichtung und Schrumpfung der Nasenschleimhaut, die zu einer entzündungshemmenden, sekretionshemmenden und antiviralen Wirkung führen könne. Bei einer Denaturierung von Membranproteinen durch Tannine im Sinne einer gerbenden Wirkung erfolge ein Eingriff in die Sekundärstruktur (räumliche Anordnung) der Proteine, die zu einem Verlust oder der Veränderung der biologischen Funktionen führe. Dies könne erhebliche und schwer überschaubare Wirkungen und Folgewirkungen hervorrufen, was für die Annahme einer pharmakologischen Wirkung im Rechtssinne spreche, die einer Überprüfung im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren bedürfe.

 

29   Das Medizinproduktrecht, das vom Gesetzgeber in erster Linie für Produkte vorgesehen sei, die ihre therapeutische Zweckbestimmung auf physikalischem Weg erreichen, enthalte kein dem erforderlichen Gesundheitsschutz angemessenes Instrumentarium, um derartige Eingriffe in die Substanz und Funktion einer Körperzelle zu prüfen. Dessen geringere Anforderungen an den Markzugang seien

 

30   nur gerechtfertigt, wenn der Eingriff in den Körper nachweislich gering sei, etwa weil der zugeführte Stoff nur eine mechanische Barriere bilde, ohne in die Zellsubstanz und -funktion einzugreifen. Da der Wirkungsmechanismus des Diacetyltannats letztlich noch nicht erforscht sei, habe dies nicht festgestellt werden können.

 

31   Diese Unklarheit gehe zu Lasten der Klägerin. Sie trage die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer für Medizinprodukte charakteristischen Wirkung, weil sie mit der Vermarktung als Medizinprodukt den für sie günstigen Ausnahmetatbestand in § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG in Anspruch nehme. Dies ergebe sich auch aus der Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG, die in Grenzfällen zur Anwendung des Arzneimittelrechts führe. Diese Beweislastverteilung sei auch sachgerecht und stehe nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Zu der Abgrenzung von Medizinprodukten und Präsentationsarzneimitteln habe der Europäische Gerichtshof bisher nicht Stellung genommen. Er habe lediglich in Fällen, in denen die Zulassungsbehörde das Produkt als Funktionsarzneimittel eingeordnet habe, die Prüfungs- und Beweislast für das Vorliegen einer pharmakologischen Wirkung der Zulassungsbehörde auferlegt. Dies sei für Funktionsarzneimittel zutreffend, weil das Vorliegen einer pharmakologischen Wirkung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG ein Tatbestandsmerk-mal für die Einstufung des Produkts als Arzneimittel sei. Für die Einordnung als Präsentationsarzneimittel sei die Feststellung einer tatsächlichen pharmakolo-gischen Wirkung aber gerade nicht erforderlich.

 

32   Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:

 

33   Das Verwaltungsgericht habe die Grenzen seiner Sachkunde überschritten und den Amtsermittlungsgrundsatz verletzt. Es habe sich nicht auf die Feststellung beschränken dürfen, dass weder die Klägerin noch die Beklagte aussagekräftige wissenschaftliche Untersuchungen angeführt hätten, sondern ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Sie als Herstellerin sei nicht verpflichtet, eine klinische Studie durchzuführen. Eine solche sei lediglich Voraussetzung für eine Arzneimittelzulassung. Sie auch für ein als Medizinprodukt auf den Markt gebrachtes Produkt zu fordern, würde dem Willen des Gesetzgebers widersprechen. Dieser stelle an das Inverkehrbringen von Arzneimitteln aus Gründen des Gesundheitsschutzes hohe Anforderungen, gebe in Bezug auf Medizinprodukte aber der Warenverkehrsfreiheit den Vorrang. Etwas anderes folge nicht aus der Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG. Sowohl mit Blick auf § 86 VwGO als auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dürfe die Nichtaufklärbarkeit eines Sachverhalts nur angenommen werden, wenn alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft worden seien.

 

34   Im Übrigen habe sie insbesondere mit der technischen Dokumentation und dem mehrfach ergänzten Sachverständigengutachten des Dr. T.        Nachweise zum chemisch-physikalischen Wirkmechanismus des Präparats vorgelegt. Eine für eine pharmakologische Wirkung nach der Leitlinie MEDDEV 2.1/3 erforderliche Interaktion zwischen der Nasenepithel-Zellmembran und einem Rezeptor, insbesondere eine denaturierende Wirkung des Präparats, werde ferner durch das Gutachten der C.        GmbH betreffend die Zytotoxizität der O1.            in vitro vom 16. April 2018 ausgeschlossen. Die Untersuchung habe nachgewiesen, dass Leitungswasser und SEAT-Nasentropfen einen vergleichbaren Rückgang der Vitalität der Zellen verursachten, durch die Behandlung mit ihrem Präparat Zellen also weder abstürben noch verändert würden. Eine denaturierende Wirkung der Nasentropfen sei nicht beobachtet worden. Der Effekt entspreche dem von harmlosem Leitungswasser. Eine denaturierende und damit pharmakolo-gische Wirkung könne auch nicht mit der von der Beklagten angeführten gerben-den Wirkung reiner Tannine begründet werden, wie sie etwa in dem Arzneimittel Tannacomp enthalten seien. Für ihr Präparat werde das Tannin durch den Aus-tausch eines Wasserstoffatoms mit einer Acetylgruppe verändert. Damit entstehe ein völlig neuer Wirkstoff mit anderen Eigenschaften. Das Prinzip sei von Salicyl-säure bekannt, die in Reinform nicht zur Einnahme geeignet, in acetylierter Form („Acetylsalicylsäure“) aber als „Aspirin“ geläufig sei.

 

35   Den Nachweis der Wirkweise habe sie erbracht, obwohl die Beweislast bei der Zuordnung eines Präparats zu einer Produktgruppe – auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – die Beklagte trage. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Umkehr der Beweislast widerspreche der Warenverkehrsfreiheit, die durch das Medizinproduktrecht gerade gestärkt werden solle. Eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit sei nur im Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes gerechtfertigt, der gerade nicht eröffnet sei.

 

36   Ihr Produkt sei nämlich auch kein Präsentationsarzneimittel. Da das Kriterium der medizinischen Zweckbestimmung Wesensmerkmal sowohl eines Präsentationsarzneimittels als auch eines stofflichen Medizinprodukts nach § 3 Nr. 1 Buchst. a) MPG sei, eigne es sich für die Abgrenzung nicht. Diese sei vielmehr anhand der Wirkweise vorzunehmen. Allenfalls lasse sich darauf abstellen, ob der Unternehmer für sein Produkt eine pharmakologische Wirkweise beanspruche. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene kategorische Einordnung als Präsentationsarzneimittel führe im Falle stofflicher Medizinprodukte zu einer Beweislastumkehr und einem generellen Vorrang des Arzneimittelgesetzes. Dies widerspreche dem Willen des Gesetzgebers und lasse die Kategorie der stofflichen Medizinprodukte leerlaufen.

 

37   Auch nach Art. 1 Abs. 6 Buchst. b) der Verordnung (EU) 2017/745 des europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, die zum 26. Mai 2020 in Kraft trete, sei die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten nach der hauptsächlichen Wirkungsweise zu treffen. Produkte, die in der Nasenhöhle wirkten, seien nach dieser Verordnung als stoffliche Medizinprodukte einzuordnen, es sei denn, die von den Behörden festzustellende Hauptwirkung sei nicht pharmakologisch. Ihr Erzeugnis sei nach der neuen Verordnung ein Medizinprodukt nicht mehr der Klasse I, sondern der Klasse IIa. Durch die für diese Produktklasse geltenden Anforderungen eines Konformitätsverfahrens unter Einbeziehung benannter Stellen sei dem Zweck des Gesundheitsschutzes hinreichend gedient.

 

38   Die Klägerin beantragt,

 

39   das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 14. November 2017 – 7 K 6236/14 – zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2014 aufzuheben.

 

40   Die Beklagte beantragt,

 

41   die Berufung zurückzuweisen.

 

42   Sie trägt im Wesentlichen vor: Der Begriff des Präsentationsarzneimittels gelte auch bei der Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Die Begriffe des Präsentationsarzneimittels und des Funktionsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 AMG und Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG stünden gleichwertig nebeneinander. Für die Frage, ob ein Präparat als Präsentationsarzneimittel einzuordnen sei, sei die Frage der (pharmakologischen) Wirkweise unerheblich. Seien die Tatbestandvoraussetzungen des Präsentationsarzneimittelbegriffs erfüllt, obliege dem Hersteller der Nachweis, dass das Produkt dennoch aus dem Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes herausfalle, weil es ein Medizinprodukt ohne Arzneimittelwirkung i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG sei. Könne die Wirkweise nicht abschließend geklärt werden, liege ein non liquet vor, das nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten der Klägerin gehe, die sich auf das Nichtvorliegen einer Arzneimittelwirkung berufe. Dies entspreche auch der Borderline-Leitlinie MEDDEV 2.1/3 rev. 3, die ausdrücklich festhalte, dass der Hersteller gehalten sein könne, seine Wahl der Produktkategorie zu begründen. Auf die Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG komme es nicht an. Sie führe aber auch zu keinem anderen Ergebnis.

 

43   Einen ausreichenden wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass SEAT nicht zu einer zellulären Veränderung von Proteinen führe, also keine pharmakologische Wirkung habe, habe die Klägerin auch durch die zuletzt durchgeführte in-vitro Untersuchung nicht erbracht. Entgegen der Darstellung der Klägerin habe diese Untersuchung ergeben, dass SEAT-Nasentropfen eine stärkere Zytotoxizität aufwiesen als Leitungswasser. Wenn das Gutachten festhalte, eine denaturierende Wirkung habe nicht festgestellt werden können, sei das insofern richtig, als die Untersuchung nicht geeignet gewesen sei, Aussagen über den molekularen Wirk-mechanismus (denaturierende/adstringierende Wirkung) zu treffen. Die Zytotoxi-zität spreche aber nicht gegen, sondern für eine denaturierende Wirkung des in dem Präparat enthaltenen SEAT, weil die Denaturierung von Zellproteinen zu deren Absterben führen könne. Einer Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten bedürfe es nicht. Ein solches werde keinen Erkenntnisgewinn bringen. Zur Wirkweise des Produkts sei umfassend vorgetragen. Der genaue Wirkmechanismus sei danach letztlich nicht erforscht.

 

44   Die Regelungen der ab dem 26. Mai 2020 geltenden und für vor diesem Stichtag in den Verkehr gebrachte Medizinprodukte nach ihrem Art. 120 Abs. 4 erst ab dem 27. Mai 2025 anwendbaren EU-Medizinprodukterichtlinie 2017/745 seien unerheblich. Im Übrigen sähen auch sie für Präparate wie das der Klägerin keine der Prüfung bei der Zulassung von Arzneimitteln vergleichbare Prüfung vor, die deren Einordnung als Arzneimittel aus Gründen des Gesundheitsschutzes entbehrlich machen könnte.

 

45   Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Beiakten verwiesen.

 

46   Entscheidungsgründe:

 

47   Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

 

48   Dabei bedarf keiner Erörterung, ob der angefochtene Bescheid ein sog. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist und was daraus gegebenenfalls für die Frage des Streitgegenstands und des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts folgt.

 

49   Vgl. in diesem Zusammenhang: VG Köln, Urteil vom 14. Oktober 2009 – 24 K 4394/08 –, juris, Rn. 39, dazu: Fleischfresser, in: Kloesel/Cyran, AMG, Stand: 2019, § 21 Rn. 74; offen lassend: OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2010– 13 A 2612/09 –, juris, Rn. 12.

 

50   Die von der Klägerin hergestellten Nasentropfen erfüllen jedenfalls nach ihrer dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden und bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unveränderten Aufmachung die Voraussetzungen eines Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Zugleich ist ihre nicht-pharmakologische, nicht-immunologische bzw. nicht-metabolische Wirkungsweise i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG i.V.m. § 2 Abs. 5 Nr. 1 und § 3 Nr. 1 MPG auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach dem Stand der Wissenschaft nicht erwiesen.

 

51   1. Nach § 2 Abs. 1 AMG sind (Human-)Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im bzw. am menschlichen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind (sog. Präsentationsarz-neimittel, Nr. 1) oder die im oder am menschlichen Körper angewendet bzw. einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (sog. Funktionsarzneimittel, Nr. 2 Buchst. a)) oder eine medizinische Diagnose zu erstellen (sog. Diagnostika, Nr. 2 Buchst. b)). Der Gesetzgeber hat damit die unionsrechtliche Begriffsbestimmung des Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines einheit-lichen Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung der Ände-rungsrichtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 übernommen. Diese Begriffsbestimmung und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind für den Arzneimittelbegriff im deutschen Recht auslegungsleitend.

 

52   a) Für den Begriff des Präsentationsarzneimittels ist die Rechtsprechung, die zu dem in Art. 1 Nr. 2 Abs. 1 der Ursprungsfassung der Richtlinie 2001/83/EG enthaltenen Begriff der „Bezeichnung“ (zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten) ergangen ist, auf den nun in Art. 1 Nr. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG verwendeten Begriff der „Bestimmung“ übertragbar. Denn weder aus den verwendeten Begriffen noch aus den Erwägungsgründen der Richtlinie 2004/27/EG ergibt sich, dass mit der Neufassung die Definition des Präsentationsarzneimittels in ihrer Bedeutung geändert werden sollte.

 

53   Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. September 2013 – 13 A 1100/12 –, juris, Rn. 87, 90 ff., m.w.N.; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 3. Aufl. 2016, § 2 Rn. 71; Kloesel/Cyran, AMG, Stand: 2011, § 2 Rn. 34.

 

54   Nach dieser Rechtsprechung richtet sich die Auslegung des Begriffs des Präsentationsarzneimittels nach dem Ziel der Richtlinie, einen effektiven Schutz der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten (vgl. den 2. und 7. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83/EG). Dazu gehört der Schutz des Verbrauchers nicht nur vor schädlichen Erzeugnissen, sondern auch davor, anstelle eines geeigneten Heilmittels ein ungeeignetes Präparat zu wählen. Der Begriff der „Bezeichnung“ bzw. „Bestimmung“ ist deshalb weit auszulegen, um sicherzustellen, dass vom Arznei-mittelbegriff nicht nur Erzeugnisse umfasst sind, die tatsächlich eine therapeu-tische Wirkung haben, sondern auch solche, die nicht ausreichend wirksam sind oder nicht die Wirksamkeit aufweisen, die der Verbraucher nach ihrer Präsenta-tion erwarten darf.

 

55   Vgl. EuGH, Urteile vom 15. November 2007 – C-319/05 (Kommission ./. Deutschland III, Knoblauchkapseln) –, juris, Rn. 61, vom 21. März 1991 – C-60/89 (Monteil und Samanni) –, juris, Rn. 23, vom 21. März 1991 – C-369/88 (Delattre) –, juris, Rn. 39, und vom 30. November 1983 – C-227/82 (van Bennekom) –, juris, Rn. 17.

 

56   Ausgehend von diesem Schutzzweck ist ein Erzeugnis ein Präsentationsarzneimittel, wenn es entweder ausdrücklich als Arzneimittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet wird oder wenn es einem Arzneimittel zumindest genügend ähnelt, weil bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Erzeugnis nach seiner Aufmachung in Bezug auf bestimmte Erkrankungen eine heilende, vorbeugende oder Leiden lindernde Wirkung hat.

 

57   Vgl. EuGH, Urteile vom 15. November 2007 – C-319/05 (Kommission ./. Deutschland III, Knoblauchkapseln) –, juris, Rn. 43 ff., vom 21. März 1991 – C-369/88 (Delattre) –, juris, Rn. 41, vom 30. November 1983 – C-227/82 (van Bennekom) –, juris, Rn. 18; BVerwG, Urteile vom 3. März 2011 – 3 C 8.10 –, juris, Rn. 12, und vom 26. Mai 2009 – 3 C 5.09 –, juris, Rn. 21; OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Januar 2018 – 13 A 1365/15 –, juris, Rn. 7, und vom 27. April 2016 – 13 A 1519/15 –, juris, Rn. 5.

 

58   Dies ist jeweils im Einzelfall anhand einer Gesamtbetrachtung der konkreten Merkmale des Produkts und seiner Präsentation zu bestimmen. Zu berücksichtigen sind die stoffliche Zusammensetzung des Erzeugnisses, seine Darreichungsform und Verpackung ebenso wie seine Bezeichnung, der Beipackzettel mit möglichen Hinweisen auf pharmazeutische Forschungen oder ärztliche Zeugnisse über bestimmte Eigenschaften, sowie weitere dem Hersteller zurechenbare Informationen, Veröffentlichungen und Produktwerbung, die für den Verbraucher verfügbar sind. Dazu gehören auch solche Informationen, die dem Verbraucher erst auf seine Anfrage vom Hersteller oder von Dritten, die in dessen Auftrag handeln oder mit diesem in Verbindung stehen, zugänglich gemacht werden.

 

59   Vgl. EuGH, Urteile vom 15. November 2007 – C-319/05 (Kommission ./. Deutschland III, Knoblauchkapseln) –, juris, Rn. 44 ff., vom 28. Oktober 1992 – C-219/91 (Ter Voort) –, juris, Rn. 26 ff., vom 21. März 1991 – C-369/88 (Delattre) –, juris, Rn. 35, 41, vom 30. November 1983 – C-227/82 (van Bennekom) –, juris, Rn. 19; Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1997 – 3 C 46.96 –, juris, Rn. 19 m.w.N.

 

60   Wird ein Erzeugnis ausdrücklich nicht als Arzneimittel, sondern als Produkt einer anderen Kategorie i.S.d. § 2 Abs. 3 AMG auf den Markt gebracht, kommt dieser Einordnung keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Anderenfalls könnte der Hersteller allein durch die Angabe einer bestimmten Produktkategorie die Anwendbarkeit des Arzneimittelrechts und die Zulassungspflicht für Arzneimittel umgehen.

 

61   Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 21. März 1991 – C-369/88 (Delattre) –, juris, Rn. 41 betreffend die ausdrückliche Erklärung, dass ein Produkt kein Arzneimittel sei.

 

62   Entsprechende Angaben sind aber in die aus der objektivierten Verbraucherperspektive anzustellende Gesamtbetrachtung der konkreten Merkmale der jeweiligen Präsentation mit einzustellen. Dabei wird ein verständiger Durchschnittsverbraucher im Allgemeinen nicht annehmen, dass ein Produkt entgegen eines ausdrücklichen Hinweises oder einer anderen Bezeichnung ein Arzneimittel ist. Allerdings können im Einzelfall Umstände hinzutreten, die es gleichwohl als Arzneimittel erscheinen lassen, etwa die Art der Bewerbung oder die preisende Nennung von (vermeintlich) arzneilich wirksamen Bestandteilen.

 

63   Vgl. EuGH, Urteil vom 21. März 1991 – C-369/88 (Delattre) –, juris, Rn. 41; BVerwG, Urteile vom 26. Mai 2009 – 3 C 5.09 –, juris, Rn. 22, und vom 25. Juli 2007 – 3 C 21.06 –, juris, Rn. 40, jeweils m.w.N.; Schneider, PharmR 2010, 289 (292).

 

64   b) S.         erweist sich nach seiner Aufmachung als Präsentationsarzneimittel. Bereits die vorliegenden Gebrauchsanweisungen vermitteln einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung schlüssig, aber mit Gewissheit den Eindruck, dass das Erzeugnis wie ein Arzneimittel zur Heilung oder Linderung einer Krankheit bestimmt ist.

 

65   In der Gebrauchsanweisung, die in der technischen Dokumentation mit dem Stand Januar 2011 enthalten ist, wird das Präparat zwar eingangs als Medizinprodukt bezeichnet, nämlich der Patient bzw. die Patientin angehalten, die Gebrauchsanweisung vor der ersten Anwendung „dieses Medizinprodukts“ aufmerksam zu lesen. Unter der Überschrift „Gebrauchsinformation“ wird das Präparat aber sodann als „Rhinologikum/Adstringens“ beschrieben, das sich zur Behandlung bei Reizungen der Nasenschleimhaut bedingt durch eine virale Rhinitis eigne. Damit stellt die Klägerin einen eindeutigen Krankheitsbezug her und weist ihrem Produkt eine die Krankheitssymptome lindernde Bestimmung zu. Denn eine virale Rhinitis ist ein krankhafter, insbesondere bei akutem Schnupfen auftretender Zustand, der mit arzneilichen Nasensprays behandelt werden kann. Gleiches gilt für die durch eine Rhinitis bedingte Reizung der Nasenschleimhaut. Zur Behandlung dieses Zustands ist das Produkt geeignet und bestimmt. Für eine Arzneimitteleigenschaft spricht weiter die Bezugnahme auf „Wechselwirkungen“ mit anderen Mitteln und „unerwünschte Wirkungen“, die der Angabe von Risiken und Nebenwirkungen in Packungsbeilagen gleichen, die der Verbraucher von ihm geläufigen Arzneimitteln kennt. Die Gebrauchsanweisung schließt mit der Angabe „Apothekenpflichtiges Medizinprodukt“. Auch die Apothekenpflicht spricht aus Verbrauchersicht für ein Arzneimittel. Denn während reine Salzwasser- oder Meerwasserpräparate auch in Drogerien erhältlich sind, kennt der Verbraucher die Vertriebsform der Apothekenpflicht gerade von Arzneimitteln. Der Zusatz, dass es sich um ein Medizinprodukt handele, hat demgegenüber eine geringere Aussagekraft und vermag den Gesamteindruck nicht zu prägen.

 

66   Ebenso stellt sich eine Gebrauchsinformation mit Stand September 2011 dar, die ebenfalls die Klägerin als Herstellerin ausweist und auf den Internetseiten einzelner Online-Apotheken über eine Verlinkung zu der Seite www.gebrauchs.info,

 

67   vgl. https://api.gebrauchs.info/574bde1f5247dc78f9a20fdc2ca15fe3i, abgerufen am 26. September 2019,

 

68   abgerufen werden kann. Auch diese enthält zwar die ausdrückliche Angabe, dass es sich um ein Medizinprodukt handele. Bereits eingangs weist sie das Präparat aber als Nasenspray „mit dem einzigartigen Wirkkomplex von Silbereiweiß-Acetyltannat und Aloe Vera Gel“ aus. Damit preist sie eine ganz besondere Wirkung an, die den durchschnittlich informierten und aufmerksamen Verbraucher auf eine Wirksamkeit schließen lässt, die er gemeinhin mit Arzneimitteln verbindet. Im Weiteren wird das Präparat als Mittel „zur unterstützenden Behandlung bei Schnupfen“ und „zur Behandlung bei Schnupfen“ beschrieben und damit ebenfalls als Mittel zur Linderung oder Heilung eines krankhaften Zustands präsentiert.

 

69   In der gleichen Weise präsentiert sich darüber hinaus die Produktpackung, deren Lichtbilder über die Webseiten einzelner Online-Apotheken abrufbar sind (verbunden, soweit ersichtlich, jeweils mit der Angabe, das Produkt sei derzeit nicht auf Lager oder nicht verfügbar). Auf der Vorderseite dieser Verpackung befindet sich prominent im oberen Bereich der Slogan „Lieber M.     – Bei Schnupfen –“. Schon damit wird ein Bezug zu einer mit Medikamenten behandelbaren Erkrankung hergestellt. Das auf einer Seite im unteren Bereich angebrachte CE-Kenn-zeichen zeigt zwar, dass der Hersteller das Erzeugnis nicht als Arzneimittel, sondern als Medizinprodukt vermarktet. Dies zu erkennen, setzt aber eine über das Wissen eines durchschnittlich informierten Verbrauchers hinausgehende Kenntnis der Produktkennzeichnungen voraus. Das Kennzeichen ist für den Eindruck aus durchschnittlicher Verbrauchersicht deshalb ohne Bedeutung. Die andere Seite der Verpackung ist nicht abgebildet. Unterstellt, dass sich hier – wie auf der Packung der Produkte „S1.           q.   j.        N.  “ und „S1.           B.       e.                q.          x% N.  “ – eine ausdrückliche Bezeichnung als (apothekenpflichtiges) Medizinprodukt befindet, käme dieser Angabe der Produktkategorie – wie in den Gebrauchsinformationen – bei der gebotenen Gesamt-betrachtung keine den Eindruck des Verbrauchers prägende Wirkung zu.

 

70   2. Der Begriff des Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG findet entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung,

 

71   siehe etwa auch: Voit, PharmR 2015, 425 (426); Zumdick, PharmR 2012, 184 (196),

 

72   auch dann Anwendung, wenn das fragliche Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt nach § 3 Abs. 1 Buchst. a) MPG auf den Markt gebracht wird.

 

73   Zwar weist § 3 Nr. 1 Buchst. a) MPG für stoffliche Medizinprodukte eine teilweise Überschneidung mit dem Begriff des Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG auf. Medizinprodukte sind nach § 3 Nr. 1 MPG, der damit Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 93/42/EWG des Rates über Medizinprodukte vom 14. Juni 1993 in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 übernimmt, Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen mit einer unter den Buchstaben a) bis d) näher konkretisierten Zweckbestimmung, die ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreichen, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann. Buchstabe a) erfasst solche Produkte, die der Erkennung und Überwachung sowie – in Bezug auf Stoffe und stoffliche Zubereitungen in Übereinstimmung mit dem Begriff des Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG – der Verhütung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten zu dienen bestimmt sind. Diese teilweise begriffliche Überschneidung ist aber nicht dadurch aufzulösen, dass § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG von vorneherein außer Betracht bleibt, wenn ein Hersteller für ein Erzeugnis die Kategorie des stofflichen Medizinprodukts mit therapeutischer Wirkung nach § 3 Nr. 1 Buchst. a) MPG in Anspruch nimmt. Die gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der ihnen zugrundeliegenden Richtlinien geben dies nicht her (a)). Eine Auslegung, die als Medizinprodukte mit therapeutischer Zweckbestimmung auf den Markt gebrachte Produkte nicht von vorneherein vom Begriff des Präsentationsarzneimittels ausnimmt, hat auch nicht zur Folge, dass solche Erzeugnisse immer als Präsentationsarzneimittel unter die Zulassungspflicht fallen und das Medizinproduktrecht auf sie keine Anwendung mehr finden kann (b)).

 

74   a) In § 2 Abs. 1 AMG stehen der Begriff des Präsentations- und der des Funktionsarzneimittels – ebenso wie in Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG – gleichberechtigt nebeneinander. Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Anwendbarkeit des einen oder des anderen Begriffs enthält der Wortlaut nicht. Auch der Europäische Gerichtshof verweist darauf, dass ein Erzeugnis bereits dann Arzneimittel ist, wenn es von einer der in Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG enthaltenen Definitionen erfasst wird.

 

75   Vgl. EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2013 – C-109/12 (Laboratoires Lyocentre) –, juris, Rn. 36, vom 9. Juni 2005 – C-211/03 u.a. (HLH Warenvertrieb und Orthica) –, juris, Rn. 49, vom 21. März 1991 – C-60/89 (Monteil und Samanni) –, juris, Rn.11, und vom 21. März 1991 – C-369/88 (Delattre) –, juris, Rn. 15.

 

76   Dass für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 AMG in Abgrenzung zum stofflichen Medizinprodukt nach § 3 Nr. 1 Buchst. a) MPG gleichwohl allein der Begriff des Funktionsarzneimittels maßgeblich wäre, folgt nicht aus den Regelungen zur Abgrenzung dieser beiden Produktklassen in § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG in der geltenden Fassung der 16. AMG-Novelle zum 26. Oktober 2012,

 

77   vgl. BGBl. I, S. 2192.

 

78   § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG nimmt Medizinprodukte i.S.d. § 3 MPG vom Arzneimittelbegriff aus, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) AMG. Nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG gilt das Medizinproduktegesetz nicht für Arzneimittel i.S.d. § 2 AMG, wobei die Entscheidung darüber, ob ein Produkt ein Arzneimittel oder ein Medizinprodukt ist, insbesondere unter Berücksichtigung seiner hauptsächlichen Wirkungsweise erfolgt, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) AMG. Die Auffassung der Klägerin,

 

79   siehe auch Voit, PharmR 2015, 425 (427); Tilmanns, MPR 2014, 11 (12 f.); Zumdick, PharmR 2012, 184 (196),

 

80   dass danach lediglich die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) AMG geregelten in-vivo-Diagnostika unabhängig von ihrer Wirkweise Arzneimittel sein können, während die Zuordnung zum Regime entweder des Arzneimittel- oder des Medizinproduktegesetzes im Übrigen allein anhand der Wirkweise und damit unter Heranziehung nur des Begriffs des auf diese abstellenden Funktionsarzneimittels zu erfolgen hat, teilt der Senat unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Regelungen nicht.

 

81   Die generelle Unterstellung der in-vivo-Diagnostika, die bis zur Angleichung der nationalen Arzneimitteldefinition an die der Richtlinie 2001/83/EU mit der 15. AMG-Novelle vom 22. Juli 2009,

 

82   vgl. BGBl. I, S. 1990; BT-Drs. 16/12256,

 

83   in § 1 Abs. 2 Nr. 2 AMG geregelt waren, unter den Begriff des Arzneimittels geht auf das Erste Gesetz zur Änderung des Medizinproduktegesetzes vom 6. August 1998 zurück,

 

84   vgl. BGBl. I, S. 2005.

 

85   In dessen Fassung wies § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG im Wege der Rückausnahme „Arzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG“ – also in-vivo-Diagnostika – generell dem Arzneimittelbegriff zu. Entsprechend regelte § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG in der bis zum 25. Oktober 2012 geltenden Fassung, dass „Arzneimittel i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AMG“ nicht dem Medizinproduktegesetz unterfielen. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollten die Regelungen (lediglich) sicherstellen, dass diese Produktgruppe stets dem Arzneimittelregime unterliegt. Einen weiteren Regelungsgehalt hatten sie nicht.

 

86   Vgl. BT-Drs. 13/11021, S. 11.

 

87   Nachdem die Bezugnahmen auf § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG bei der Änderung der Arzneimitteldefinition durch die 15. AMG-Novelle unverändert geblieben waren, wurde mit dem Zusatz des Buchstaben b) durch die 16. AMG-Novelle lediglich das Redaktionsversehen bereinigt und der Verweis auf die in-vivo-Diagnostika jeweils der Systematik des nationalen Arzneimittelbegriffs vom 22. Juli 2009 angepasst.

 

88   Vgl. BT-Drs. 17/9341, S. 47, 75.

 

89   Für die Einordnung von Erzeugnissen, die nicht in-vivo-Diagnostika sind, sind die Bezugnahmen auf „§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) AMG“ damit ebenso unergiebig wie die ursprüngliche Bezugnahme auf diese Produktgruppe in der Gesetzesfassung vom 6. August 1998.

 

90   Mit der in § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG aufgenommenen Abgrenzungsregel, nach der das Medizinproduktegesetz „für Arzneimittel i.S.d. § 2 AMG“ nicht gilt und die Entscheidung darüber, ob ein Erzeugnis Arzneimittel oder Medizinprodukt ist, „insbesondere unter Berücksichtigung der hauptsächlichen Wirkweise des Produkts“ erfolgt, es sei denn, es handelt sich um ein Arzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) AMG, hat der Gesetzesgeber der 16. AMG-Novelle Art. 1 Abs. 5 Buchst. c) der Richtlinie 93/42/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/47/EG in das nationale Recht übernommen. Nach der Gesetzesbegründung dient die Regelung der „Klarstellung“, dass die Abgrenzung der beiden Produktgruppen in erster Linie anhand der hauptsächlichen Wirkweise erfolgt, sofern es sich nicht um in-vivo-Diagnostika handelt. Diese fielen unter die Definition des Arzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) AMG und seien ungeachtet ihrer Wirkweise als Arzneimittel einzuordnen.

 

91   Vgl. BT-Drs. 17/9341, S. 75

 

92  Ein Ausschluss der Anwendbarkeit des Präsentationsarzneimittelbegriffs auf potentielle Medizinprodukte mit therapeutischer Wirkung folgt auch aus dieser Neuregelung nicht. Dabei ist zunächst der neue erste Halbsatz des § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG zu berücksichtigen, der vom Medizinprodukteregime nicht mehr nur die in-vivo-Diagnostika, sondern Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 AMG insgesamt ausnimmt. Dies entspricht Art. 1 Abs. 5 Buchst. c) der Richtlinie 93/42/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/47/EG, der „auf Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG“ verweist. Damit sind einer Abgrenzung zwischen Medizinprodukten und Arzneimitteln zunächst sämtliche Begriffsbestimmungen des § 2 Abs. 1 AMG zugrunde zu legen. Von der im neuen zweiten Halbsatz des § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG in Übereinstimmung mit Art. 1 Abs. 5 Buchst. c) der Richtlinie 93/42/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/47/EG enthaltenen Abgrenzungsregel ausgenommen werden sodann im letzten Halbsatz der Regelung lediglich in-vivo-Diagnostika nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) AMG. Dies ist konsequent, denn weil diese Produkte – wie bereits nach der Vorgängerregelung, die keine Änderung erfahren sollte – per se als Arzneimittel einzuordnen sind, bedarf es für sie keiner Abgrenzung. Für Erzeugnisse, die die Voraussetzungen eines Arzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 Buchst. a) AMG erfüllen, bleibt eine Abgrenzung dagegen notwendig. Diese Abgrenzung erfolgt „insbesondere“ nach der Hauptwirkweise. Dass die Abgrenzung deshalb ausschließlich ausgehend vom Begriff des Funktionsarzneimittels vorzunehmen wäre, ergibt sich aus dieser Formulierung gerade nicht. Vielmehr lässt sie eine Berücksichtigung (auch) der Umstände der Produktpräsentation zu.

 

93   Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Januar 2018 – 13 A 1365/15 –, juris, Rn. 17; Kloesel/Cyran, AMG, Stand: 2016, § 2 Rn. 158a; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl. 2016, § 2 Rn. 219 ff.

 

94   Aus ihr folgt lediglich, dass die Hauptwirkweise für die Einordnung eines Erzeugnisses als Arzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 Buchst. a) AMG oder als Medizinprodukt i.S.d. § 3 Nr. 1 MPG wesentlich zu berücksichtigen ist. Dies ist durch die gesetzliche Systematik auch bei einer vom Begriff des Präsentationsarzneimittels ausgehenden Abgrenzung gewährleistet. Die Frage nach der Hauptwirkweise des Erzeugnisses stellt sich lediglich an einem anderen Prüfungspunkt als bei einer Einordnung, die vom Begriff des Funktionsarzneimittels ausgeht, nämlich nicht schon beim Arzneimittel-, sondern erst beim Medizinproduktbegriff. Erfüllt ein Erzeugnis die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, ist die Arzneimitteleigenschaft (zunächst) unabhängig von seiner Wirkweise zu bejahen und die Hauptwirkweise sodann im Rahmen der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG nach § 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG zu prüfen. Denn nach der Systematik des § 2 AMG scheidet ein Erzeugnis, das unter eine der Begriffsbestimmungen des Absatzes 1 fällt, nach Absatz 3 aus dem Arzneimittelbegriff wieder aus, wenn es auch die Begriffsmerkmale eines der dort genannten Erzeugnisse erfüllt. Dies setzt für den Begriff des Medizinprodukts, das seine therapeutische Zweckbestimmung vorwiegend auf physikalischem Weg erreicht,

 

95   vgl. BT-Drs. 12/6991, S. 28,

 

96   voraus, dass seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung weder durch pharmakologisch oder immunlogisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird (§ 2 Abs. 5 Nr. 1 und § 3 Nr. 1 MPG).

 

97   Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2010 – 13 A 156/06 –, juris, Rn. 62, Beschlüsse vom 23. April 2010 – 13 A 662/10 –, juris, Rn. 5 ff., 11 und vom 15. März 2010 – 13 A 2612/09 –, juris, Rn. 14 ff.; Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 137 ff.; Kloesel/Cyran, AMG, Stand: 2011, § 2 Rn. 165.

 

98   b) Danach führt die Anwendbarkeit des Begriffs des Präsentationsarzneimittels (auch) für die Einordnung von Erzeugnissen, die als stoffliche Medizinprodukte mit therapeutischer Wirkung vertrieben werden, nicht dazu, dass diese stets auch im weiteren dem Regelungsregime des Arzneimittelgesetzes unterfallen und § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) MPG für stoffliche Medizinprodukte mit therapeutischer Wirkung leerläuft. Denn die Regelungen in § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG bilden ein Korrektiv für solche Erzeugnisse, die zwar aufgrund ihrer Aufmachung einschließlich ihrer therapeutischen Zweckbestimmung von dem weiten Begriff des Präsentationsarzneimittels erfasst werden, aufgrund ihrer bestimmungsgemäßen Hauptwirkung aber tatsächlich Medizinprodukte sind. Unter der Hauptwirkung ist dabei diejenige Wirkung zu verstehen, die bei einer Gesamtbetrachtung der Wirkungen die übrigen überwiegt und so den Charakter des Stoffes oder der Zubereitung aus Stoffen prägt. Auf welche Weise sie erreicht wird, ist anhand der nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellbaren pharmakologischen, immunologischen und metabolischen Eigenschaften des Erzeugnisses zu bestimmen.

 

99   Vgl. zur Maßgeblichkeit des nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft Feststellbaren: EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2013 – C-109/12 (Laboratoires Lyocentre) –, juris, Rn. 42, vom 6. September 2012 – C-308/11 (Chemische Fabrik Kreussler) –, juris, Rn. 33, vom 30. April 2009 ‑ C-27/08 (BIOS Naturprodukte) -, juris, Rn. 19, vom 15. Januar 2009 – C-140/07 (Hecht Pharma) –, juris, Rn. 40, vom 15. November 2007 – C-319/05 (Kommission ./. Deutschland III, Knoblauchkapseln) –, juris, Rn. 55, vom 9. Juni 2005 ‑ C-211/03 u.a. (HLH Warenvertrieb und Orthica) ‑, juris, Rn. 51, und vom 30. November 1983 – C-227/82 (van Bennekom) –, juris, Rn. 29.

 

100   (1) Ist danach aufgrund einer nicht-pharmakologischen, nicht-immunologischen und nicht-metabolischen Hauptwirkung eine eindeutige Zuordnung zum Medizinproduktrecht möglich, fällt das Produkt nach § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 3 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG aus dem Regime des Arzneimittelrechts heraus. Es kommt lediglich das Medizinproduktrecht zur Anwendung.

 

101   Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2010 – 13 A 156/06 –, juris, Rn. 62, sowie Beschlüsse vom 23. April 2010 – 13 A 662/10 –, juris, Rn. 5, und vom 15. März 2010 – 13 A 2612/09 –, juris, Rn. 17.

 

102   In diesem Fall streiten weder der mit dem Arzneimittelrecht nach § 1 AMG bzw. dem 2. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83/EG im Allgemeinen verfolgte Zweck der öffentlichen Gesundheit noch der mit dem Begriff des Präsentationsarzneimittels nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AMG bzw. Art. 1 Nr. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2001/83/EG im Besonderen beabsichtigte Schutz des Verbrauchers vor therapeutisch wirkungslosen Produkten für eine Einbeziehung des Erzeugnisses in das Arzneimittelregime. Denn von Produkten, die ihren Krankheiten heilenden, lindernden oder vorbeugenden Zweck wissenschaftlich anerkannt auf medizinprodukttypische Weise – damit regelmäßig physikalisch – erreichen, sind besondere Gesundheitsgefahren regelmäßig weder aufgrund einer ungeklärten, möglicherweise arzneimitteltypischen Wirkweise zu erwarten, die eine Prüfung im Zulassungsverfahren erforderte, noch sind Gefahren aufgrund einer behaupteten Wirkung bei eigentlicher Wirkungslosigkeit zu gewärtigen.

 

103   Vgl. Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/ Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 140 ff.

 

104   Diese Auslegung wird durch Satz 7 des 7. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2004/27/EG bestätigt. Danach soll das Regime des Arzneimittelrechts dann nicht gelten, wenn ein Produkt eindeutig unter die Definition anderer Produktgruppen, insbesondere von Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Produkten der Medizintechnik, Bioziden oder kosmetischen Mitteln, fällt. Diese Klarstellung geht auf einen Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments zurück, nachdem dessen Ausschuss für Umweltfragen, Öffentliche Gesundheit und Verbraucherschutz die von der Kommission ursprünglich vorgeschlagene Neufassung des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (dazu sogleich) mit der Begründung abgelehnt hatte, dass sie dem Arzneimittelregime auch solche Produkte unterstelle, die (eindeutig) in ein anderes Regelungsregime fielen.

 

105   Vgl. Recommendation for Second Reading vom 2. Dezember 2003 – PE 337.033, A5-0446/2003 –, und Report vom 9. Oktober 2002 – PE 290.143, A5-0304/2002 –, beide abrufbar unter: https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?lang=en&reference=2001/0253(COD).

 

106   (2) Ist dagegen nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft nicht feststellbar, dass das Erzeugnis seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht, bleibt es bei der Arzneimitteleigenschaft nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Dies folgt aus der Zweifelsfallregelung in § 2 Abs. 3a AMG, die gerade den Fall der Nichterweislichkeit der Zuordnung zu einer (aus Sicht des Arzneimittelrechts) anderweitig geregelten Produktgruppe erfasst.

 

107   Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2010 – 13 A 156/06 –, juris, Rn. 62, sowie Beschlüsse vom 23. April 2010 – 13 A 662/10 –, juris, Rn. 5, und vom 15. März 2010 – 13 A 2612/09 –, juris, Rn. 19.

 

108   Nach § 2 Abs. 3a AMG sind auch solche Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen Arzneimittel, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 AMG fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach § 2 Abs. 3 AMG fallen können. Diese Zweifelsfallregelung entspricht Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG. Zwar spricht deren Wortlaut ein Produkt an, das sowohl unter die Definition eines Arzneimittels als auch unter die eines anderen Erzeugnisses fallen kann. Wie der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung in § 2 Abs. 3a AMG angenommen hat,

 

109   vgl. BT-Drs. 16/12256, S. 41,

 

110   setzt die Regelung aber die positive Feststellung der Arzneimitteleigenschaft voraus. Dies folgt aus dem im 7. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/27/EG niedergelegten Zweck sowie aus der Entstehungsgeschichte der Regelung. Im 7. Erwägungsgrund benennt der Richtliniengeber als Zweifelsfall die Konstellation, in der ein Produkt, das von der Arzneimitteldefinition erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition eines anderweitig regulierten Produkts fällt (Satz 2). In diesen Fällen soll das Arzneimittelrecht anwendbar sein. Ist ein Produkt eindeutig von der Definition einer anderen Produktgruppe erfasst, soll die Richtlinie dagegen – wie bereits ausgeführt – nicht gelten (Satz 7). Gerade diese Zweifelsfallkonstellation kommt im Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG „fallen kann“ zum Ausdruck, der auf den zweiten Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments zurückgeht. Der ursprüngliche Entwurf der Kommission hatte den Zweifelsfall im 7. Erwägungsgrund auch bereits darin gesehen, dass ein Produkt „auch der Definition anderer regulierter Produkte entsprechen kann“, Art. 2 Abs. 2 aber noch dahingehend formuliert, dass ein Stoff, der der Definition des Arzneimittels entspreche, der Richtlinie auch dann unterfallen solle, wenn er ebenfalls in den Geltungsbereich anderer gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften „fällt“.

 

111   Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel vom 26. November 2001, ABl. C 75 E/216 vom 26. März 2002.

 

112   Nach den vom Ausschuss für Umweltfragen, Öffentliche Gesundheit und Verbraucherschutz gegen die Einbeziehung von Produkten, die (erwiesenermaßen) einem anderen Regelungsregime unterstehen, in das Arzneimittelrecht, geäußerten Bedenken,

 

113   vgl. Recommendation for Second Reading vom 2. Dezember 2003 – PE 337.033, A5-0446/2003 –, und Report vom 9. Oktober 2002 – PE 290.143, A5-0304/2002 –, beide abrufbar unter: https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?lang=en&reference=2001/0253(COD),

 

114   setzte das Parlament schließlich eine Ergänzung des 7. Erwägungsgrundes um die Klarstellung in Satz 7 sowie – zur Regelung der in dessen Satz 2 genannten Zweifelsfälle – den in Kraft getretenen Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 durch.

 

115   Vgl. Texts adopted vom 17. Dezember 2003 ‑ p5_TA(2003)0577, A5-0446/2003 -, abrufbar unter: https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?lang=en&reference=2001/0253(COD).

 

116   In diesem Sinne hat auch der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass die Zweifelsfallregelung nichts daran ändert, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG auf „Arzneimittel“ beschränkt ist und keine Erzeugnisse einschließt, die nicht einer in Art. 1 Nr. 2 Buchst. a) und b) der Richtlinie enthaltenen Definition entsprechen. Daraus hat er bezogen auf den Begriff des Funktionsarzneimittels gefolgert, dass die Zweifelsfallregelung nicht auf Erzeugnisse anwendbar ist, deren entsprechenden Eigenschaften nicht wissenschaftlich nachgewiesen sind.

 

117   Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 – C-140/07 (Hecht Pharma) –, juris, Rn. 21 ff.

 

118   Indes ist der Tatbestand der Zweifelsfallregelung – auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – nicht auf die positive Feststellung der Eigenschaft als Funktionsarzneimittel beschränkt, sondern erfasst nach dem eindeutigen Wortlaut sowohl des § 2 Abs. 3a AMG („unter eine Begriffsbestimmung des Absatzes 1“) als auch des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG („unter die Definition von ‚Arzneimittel‘“) den Begriff des Präsentationsarzneimittels und des Funktionsarzneimittels gleichermaßen.

 

119   Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2010 – 13 A 156/06 –, juris, Rn. 62, Beschlüsse vom 23. April 2010 – 13 A 662/10 –, juris, Rn. 13, und vom 15. März 2010 – 13 A 2612/09 –, juris, Rn. 19 ff.;

 

120   Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 6; Fuhrmann, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 7; Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 143; Kloesel/Cyran, AMG, Stand: 2011, § 2 Rn. 165.

 

121   Auch der Europäischen Gerichtshof hat in der Rechtssache „Laboratoires Lyocentre“ auf den Wortlaut der Zweifelsfallregelung nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 verwiesen, der den Begriff „Arzneimittel“ enthält und bezüglich dieses Begriffs ausdrücklich daran erinnert, dass Art. 1 Nr. 2 Buchst. a) und b) der Richtlinie 2001/83 zwei Definitionen enthalte und ein Erzeugnis Arzneimittel sei, wenn es entweder unter die eine oder die andere dieser beiden Definitionen falle.

 

122   Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2013 – C-109/12 (Laboratoires Lyocentre) –, juris, Rn. 40, 36.

 

123   Dass der Gerichtshof sich im Weiteren nur zur Definition des Funktionsarzneimittels verhalten hat,

 

124   vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2013 – C-109/12 (Laboratoires Lyocentre) –, juris, Rn. 37, 42 ff.

 

125   lässt nicht auf eine entsprechende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Zweifelsfallregelung schließen.

 

126   A.A. von Czettritz, PharmR 2010, 342 (344).

 

127   Die Vorlagefrage bezog sich nur auf die Definition des Funktionsarzneimittels. Darüber hinaus näher auf den Begriff des Präsentationsarzneimittels und seine Bedeutung für die Abgrenzung von anderen Produktklassen einzugehen, bestand kein Anlass.

 

128   Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2013 – C-109/12 (Laboratoires Lyocentre) –, juris, Rn. 34.

 

129   Gleiches gilt für das Urteil in der Rechtssache „Hecht Pharma“, das allein die Frage betraf, ob die Zweifelsfallregelung nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG auf ein Produkt anzuwenden ist, dessen Eigenschaft als Funktionsarzneimittel nicht nachgewiesen ist, ohne dass sie ausgeschlossen werden kann. Hierauf antwortete der Europäische Gerichtshof unter Berücksichtigung des 7. Erwägungsgrunds der Richtlinie 2004/27/EG, dass die Arzneimittelrichtlinie nicht auf ein Produkt anwendbar sei, dessen Arzneimitteleigenschaft nach deren Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) nicht nachgewiesen sei.

 

130   Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 – C-140/07 (Hecht-Pharma) –, juris, Rn. 29; darauf ebenfalls nur zum Funktionsarzneimittelbegriff Bezug nehmend außerdem Urteile vom 30. April 2009 – C-27/08 (BIOS Naturprodukte) –, juris, Rn. 18, und vom 5. März 2009 – C-88/07 (Kommission ./. Spanien) –, juris, Rn. 79.

 

131   Dass die Zweifelsfallregelung Präsentationsarzneimittel nicht erfasse, hat der Gerichtshof damit weder ausdrücklich erklärt, noch ergibt es sich schlüssig aus den Urteilsgründen. Ausdrücklich auf den Begriff des Präsentationsarzneimittels bezogen hat er lediglich an die aufgrund des Schutzzwecks weite Auslegung erinnert.

 

132   Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 – C-140/07 (Hecht-Pharma) –, juris, Rn. 25.

 

133   Soweit der Gerichtshof ergänzend ausgeführt hat, die Anwendung des Arzneimittelrechts setze, wie im 7. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/27/EG erläutert, die positive Feststellung der Arzneimitteleigenschaft voraus, um zu verhindern, dass die Vorschriften der Richtlinie 2001/83/EG Behinderungen des freien Warenverkehrs zur Folge hätten, die völlig außer Verhältnis zum angestrebten Ziel des Gesundheitsschutzes stünden,

 

134   vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 – C-140/07 (Hecht-Pharma) –, juris, Rn. 27,

 

135   folgt daraus für Präsentationsarzneimittel nichts anderes als für Funktionsarzneimittel, nämlich dass die Definitionsmerkmale der Arzneimitteldefinition jeweils im konkreten Fall erfüllt sein müssen. Dass dazu im Fall des Präsentationsarzneimittels anders als beim Funktionsarzneimittel nicht der Nachweis einer bestimmten Wirkweise gehört, ist dem Arzneimittelbegriff nach Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 bzw. § 2 Abs. 1 AMG immanent und führt zu keiner anderen Einschätzung.

 

136   A.A. von Czettritz, PharmR 2010, 342 (344).

 

137   Denn auch wenn sich ein Erzeugnis dem Verbraucher nach den in der Rechtsprechung konkretisierten Kriterien aus Art. 1 Nr. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2001/83 bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG eindeutig als Arzneimittel präsentiert, ohne dass feststeht, ob es unter die Definition einer anderen Produktklasse fällt, entspricht seine Zuordnung zum strengeren Regime des Arzneimittelrechts dem Schutz der öffentlichen Gesundheit (§ 1 AMG sowie 2. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83/EG). Dass der freie Warenverkehr innerhalb des Binnenmarktes, dessen Gewährleistung die Regelungen der Richtlinie 2001/83/EG nach ihrem 3. Erwägungsgrund ebenfalls – allerdings in Zusammenschau mit dem nach dem 2. Erwägungsgrund „in erster Linie“ sicherzustellenden Gesundheitsschutz nachrangig – dient, durch diesen Schutz „völlig außer Verhältnis“ beeinträchtigt würde, ist nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als Hemmnisse des freien Warenverkehrs innerhalb des Binnenmarktes ohnehin weniger durch die Zuordnung eines Erzeugnisses zu einer bestimmten Produktklasse, sondern stärker durch die zwischen den Mitgliedstaaten in der Zuordnung verbleibenden Unterschiede begründet werden, selbst diese Einschränkungen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aber bis zu einer Vereinheitlichung durch eine unionsweit geltende Zuordnung zu einem Regelungsregime hinzunehmen sind.

 

138   Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 – C-140/07 (Hecht-Pharma) –, juris, Rn. 28.

 

139   Dass § 2 Abs. 3a AMG bei festgestellter Präsentationsarzneimitteleigenschaft nicht eingreifen, sondern stets die positive Feststellung der Funktionsarzneimitteleigenschaft voraussetzen soll, folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. In seinen Urteilen vom 25. Juli 2007 – 3 C 21.06, 3 C 22.06 und 3 C 23.06 – hat das Bundesverwaltungsgericht die Feststellung, die erhebliche Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers und das Vorliegen erheblicher pharmakologischer Wirkungen müssten durch belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse belegt sein, ebenfalls allein auf den Begriff des Funktionsarzneimittels bezogen, ohne sich zu dem – in den ihm vorliegenden Verfahren nicht in Rede stehenden – Begriff des Präsentationsarzneimittels zu verhalten.

 

140   Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juli 2007 – 3 C 21.06 –, juris, Rn. 27 ff., – 3 C 22.06 –, juris, Rn. 21 ff., und – 3 C 23.06 –, juris, Rn. 19 ff.

 

141   Auch in dem auf die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Verfahren „Hecht Pharma“ hin ergangenen Urteil vom 26. Mai 2009 – 3 C 5.09 – hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich festgestellt, dass die Einordnung eines Erzeugnisses als Funktionsarzneimittel ungeachtet der Zweifelsfallregelung den wissenschaftlichen Nachweis erfordere, dass es die physiologischen Funktionen des Körpers durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherstelle, korrigiere oder beeinflusse. Zur Klärung der im bisherigen Verfahren offen gebliebenen Eigenschaft des Erzeugnisses als Präsentationsarzneimittel hat es die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Da dieses die Begriffsmerkmale des Präsentationsarzneimittels nach der Aufmachung des Produkts nicht erfüllt sah, stellte sich die Frage nach der Anwendbarkeit der Zweifelsfallregel bei festgestellter Präsentationsarzneimitteleigenschaft auch im Weiteren nicht.

 

142   Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2009 – 3 C 5.09 –, juris, Rn. 12, 20; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 3. Februar 2011 – 13 LC 92/09 –, juris, Rn. 5.

 

143   Damit unterstellt die Zweifelsfallregelung ein Erzeugnis dem Arzneimittelgesetz, wenn seine Arzneimitteleigenschaft nach § 2 Abs. 1 AMG bzw. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG positiv festgestellt ist und es außerdem unter die Definition eines Erzeugnisses nach § 2 Abs. 3 AMG bzw. Art. 3 der Richtlinie 2001/83/EG fallen kann, dies aber nicht erwiesen ist. Für die Abgrenzung eines Arzneimittels von einem Medizinprodukt nach § 2 Abs. 3 Nr. 7 ist die Zweifelsfallregelung insbesondere dann anwendbar, wenn sich das Erzeugnis als Präsentationsarzneimittel erweist und die vom Hersteller in Anspruch genommene Hauptwirkung i.S.d. § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht hinreichend gesichert ist.

 

144   Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2010 – 13 A 156/06 –, juris, Rn. 62, Beschlüsse vom 23. April 2010 – 13 A 662/10 –, juris, Rn. 5 ff., 11, und vom 15. März 2010 – 13 A 2612/09 –, juris, Rn. 19 ff.

 

145   3. Vorliegend greift § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG nicht ein. Dass S.         ein Medizinprodukt i.S.d. § 3 Nr. 1 AMG ist, weil seine Hauptwirkweise (§ 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG) nicht-pharmakologisch – nämlich, wie die Klägerin geltend macht, chemisch-physikalisch – ist, ist nicht belegt. Nach dem Stand der Wissenschaft ist die Wirkweise des Erzeugnisses letztlich auch weiterhin offen. Dies ergibt sich aus den von der Klägerin vorgelegten Gutachten sowie den von der Beklagten beigebrachten Quellen aus dem wissenschaftlichen Schrifttum.

 

146   a) Der Begriff der (nicht-)pharmakologischen Wirkung i.S.d. § 3 Nr. 1 Buchst. a) MPG bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AMG ist weder im Medizinproduktegesetz oder im Arzneimittelgesetz noch in den Richtlinien 93/42/EG und 2004/27/EG definiert. Er geht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Abgrenzung von Arzneimittel und Lebensmitteln zurück, nach der mit dem Begriff

 

147   eine jedenfalls nennenswerte Auswirkung auf den Stoffwechsel und die gezielte Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers gemeint war.

 

148   vgl. EuGH, Urteil vom 16. April 1991 – C-112/89 (Upjohn) –, juris, Rn. 17 ff.; dazu: BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 3 C 40.05 –, juris, Rn. 22.

 

149   Der Richtliniengeber hat ihn zunächst – negativ gefasst – in die Definition des Medizinprodukts nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) der 93/42/EG aufgenommen, dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung gerade nicht durch pharmakologische Mittel erreicht wird. Mit der Richtlinie 2004/27/EG hat er die unionsrechtliche Definition des Funktionsarzneimittels um eine entsprechende die „pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung“ betreffende Regelung ergänzt. Nach dem 7. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/27/EG diente die Aufnahme dieser Formulierung in die Definition des Funktionsarzneimittelbegriffs dem Zweck, auch die Entstehung neuer Therapien und die steigende Zahl sog. Grenzprodukte berücksichtigen zu können. Sie sollte klarstellen, welche Art von Wirkung ein Arzneimittel haben muss, um die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen.

 

150   Die ihm vorgelegte Frage, wie der Begriff der pharmakologischen Wirkung gemeinschaftsrechtlich zu definieren sei, hat der Europäische Gerichtshof nicht beantwortet.

 

151   Vgl. EuGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – C-211/03 (HLH Warenvertrieb und Orthica) –, juris, Rn. 46 ff.

 

152   Anhaltspunkte für die Begriffsbestimmung enthält die sog. „Borderline-Leitlinie“, MEDDEV 2.1/3, rev. 3, die eine Expertengruppe unter Federführung der für Medizinprodukte und Kosmetika zuständigen Dienststelle der Europäischen Kommission zur Klärung von Abgrenzungsfragen u.a. bei der Auslegung der Richtlinie 93/42/EWG herausgibt. Sie ist rechtlich nicht verbindlich, kann aber bei der Auslegung (auch) des Begriffs der pharmakologischen Wirkung mit berücksichtigt werden.

 

153   Vgl. EuGH, Urteil vom 6. September 2012 – C-308/11 (Chemische Fabrik Kreussler) –, juris, Rn. 23 ff.

 

154   Danach ist unter einer pharmakologischen Wirkung eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen des betreffenden Stoffes und einem – gewöhnlich als Rezeptor bezeichneten – Zellbestandteil zu verstehen, die entweder zu einer direkten Reaktion führt oder die Reaktion auf einen anderen Agenten blockiert. Eine Dosis-Wirkungs-Korrelation ist dabei ein, wenn auch nicht zwingender Indikator für eine pharmakologische Wirkungsweise.

 

155   Unter Berücksichtigung auch dieser Begriffsbestimmung hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass die Einstufung einer Substanz als pharmakologisch wirksam nach den maßgeblichen Regelungen der Richtlinien 93/42/EG und 2004/27/EG nicht voraussetzt, dass eine (direkte) Wechselwirkung zwischen der fraglichen Substanz und einem zellulären Bestandteil des menschlichen Körpers besteht. Dabei hat er maßgeblich auf die Eignung eines Arzneimittels abgestellt, die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, und festgehalten, diese Wirkung könne eine Substanz auch (indirekt) dadurch haben, dass ihre Moleküle eine Wechselwirkung mit anderen im Organismus des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteilen – etwa von Bakterien, Viren oder Parasiten – eingingen.

 

156   Vgl. EuGH, Urteil vom 6. September 2012 – C-308/11 (Chemische Fabrik Kreussler) –, juris, Rn. 29 ff., 36.

 

157   Damit kommt eine pharmakologische Wirkung nicht nur dann in Betracht, wenn eine Substanz vom menschlichen Körper absorbiert wird und auf diese Weise in Wechselwirkung mit körpereigenen Molekülen tritt, sondern auch dann, wenn sie an der Oberfläche etwa von Schleimhäuten verbleibt und mit dort vorhandenen sonstigen Zellmolekülen reagiert.

 

158   Siehe so auch: OLG Hamm, Urteil vom 5. Dezember 2013 – I-4 U 70/13 –, juris, Rn. 77; zum Ausreichen „jeglicher Wechselbeziehung“ zwischen Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil auch: BGH, Urteil vom 24. November 2010 – I ZR 204/09 –, juris, Rn. 14.

 

159   Der Leitlinie kann nicht entnommen werden, dass die sog. nicht-rezeptorvermit-telten Wirkungen aus dem Begriff der „pharmakologischen Wirkung“ ausgeschlossen werden sollen. Hierzu trifft die Leitlinie keine Aussage. In der wissenschaftlichen Literatur ist anerkannt, dass es neben den rezeptorvermittelten Wirkungen eines Arzneistoffs auch andere Pharmakonwirkungen gibt, die nicht unmittelbar auf der spezifischen Anbindung eines Liganden an seinen Rezeptor beruhen. Als solche nicht-rezeptorvermittelten, sog. (struktur-)unspezifischen Wirkungen von Pharmaka werden etwa die osmotische Wirkung von ausschwemmenden oder abführenden Mitteln oder die Steigerung der Zellmembranpermeabilität durch bestimmte Antimykotika genannt.

 

160   Vgl. Mutschler, Arzneimittelwirkungen, 10. Aufl. 2013, S. 73, 74; Aktories/Förstermann/ Hofmann/Starke, Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 10. Aufl. 2009, Abschn. 1.2, Tabelle 1.1, B; Burgis, Intensivkurs Allgemeine und spezielle Pharmakologie, 3. Aufl. 2003, S. 1, 6.

 

161   Zudem wird ausgeführt, dass die klassische Unterscheidung von Pharmakonwirkungen in rezeptorvermittelt und nicht-rezeptorvermittelt bei neuen Arzneistoffen – darunter etwa Statine, deren cholesterinsenkende Wirkung jedenfalls nicht unmittelbar rezeptorvermittelt sei, sondern indirekt zustande komme – mit zunehmender Kenntnis der molekularen Wirkungsgrundlagen häufig nicht mehr ohne weiteres zu treffen sei.

 

162   Vgl. Aktories/Förstermann/Hofmann/Starke, Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 10. Aufl. 2009, Abschn. 1.2.1.

 

163   Vor diesem Hintergrund geht der Senat ebenso wie das Verwaltungsgericht davon aus, dass vom Rechtsbegriff der pharmakologischen Wirkung auch nicht-rezeptorvermittelte Wirkweisen erfasst sein können, vorausgesetzt die fragliche Substanz hat einen nennenswerten Einfluss auf die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers und beeinflusst diese gezielt.

 

164   Siehe so i.E. auch: OLG Hamm, Urteil vom 11. September 2008 – I-4 U 55/08, 4 U 55/08 –, juris, Rn. 48, 50; a.A. Anhalt/Lücker/Wimmer, PharmR 2007, 45 (46).

 

165   Für die Frage der pharmakologischen Wirkung unerheblich ist, ob die Verwendung des Erzeugnisses ein Gesundheitsrisiko darstellt, denn ein solches lässt nicht auf die Wirkweise schließen.

 

166   Vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2009 – C-27/08 (BIOS Naturprodukte) –, juris, Rn. 24 f.

 

167   b) Vorliegend scheidet eine pharmakologische Wirkungsweise des Produkts nicht schon deshalb aus, weil die Bemühungen der Klägerin um den wissenschaftlichen Nachweis einer therapeutischen Wirksamkeit im Nachzulassungsverfahren für die im wesentlichen identisch zusammengesetzten Produkte „S1.           q.   j.          N.  O1.            “ und „S1.           B.       e.                 q.           x % N.  O1.            “ erfolglos geblieben sind. Die nachgewiesene therapeutische Wirksamkeit berechtigt zwar im Wege eines Erst-Recht-Schlusses zur Annahme einer (erheblichen) pharmakologischen Wirkung. Die therapeutische Wirksamkeit ist aber kein notwendiges Element pharmakologischer Wirkung. Kann sie nicht nachgewiesen werden, lässt dies einen zwingenden Schluss auf eine nicht-pharmakologische Wirkweise nicht zu.

 

168   Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 3 C 40.05 –, juris, Rn. 23; OVG Münster, Beschluss vom 27.01.2015 – 13 A 1872/14 –, juris, Rn. 15 ff. m.w.N.

 

169   Eine nicht-pharmakologische Wirkung von S.         ® ist nach dem aus den vorgelegten Studien ersichtlichen Stand der Wissenschaft nicht belegt. Der Senat nimmt insoweit auf die überzeugenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts Bezug, denen er unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten im Berufungsverfahren – insbesondere der von der Klägerin vorgelegten in vitro Untersuchung der C.        GmbH vom 16. April 2018 – folgt.

 

170   Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, beruhen die Wirkannahmen des Dr. T.        ausschließlich auf theoretischen Reaktionsmöglichkeiten, die sich aus den chemischen Eigenschaften des Wirkstoffs ergeben sollen. Insbesondere gibt es keinen Nachweis dafür, dass sich die mit dem Wirkstoff verbundene kolloidale Trägersubstanz Casein oder aus dem Nasensekret ausgefällte Proteine wie eine mechanische Barriere über die Nasenschleimhaut legen und hierdurch zu einer Abdichtung der obersten Zellschicht der Nasenschleimhaut führen. Auch für die Annahme, dass SEAT mit interstitiellen (zwischen Zellen gelegenen) Wasser-molekülen in der Zellmembran reagiere und hierdurch mit Hilfe von physikalischen Kapillarkräften eine Schrumpfung („Zusammenrücken“) der Nasenschleim-haut bewirke, die wiederum die Sekretion reduziere, gibt es keine wissenschaft-lichen Untersuchungen. Schließlich ist auch die Theorie, dass durch die Schrumpfung der Schleimhaut möglicherweise eine Verschiebung des Sol-Gel-Gleichgewichts der Zellmembranlipide erfolge, die mit einer Reduzierung der Dynamik von membranständigen Integrinen zur Cluster-Bildung verbunden sei und hierdurch das Andocken der Rhinoviren an die Epithelzellen und die Replikation des Virus blockiert sei, nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen untermauert.

 

171   Die Beklagte hält der Annahme einer chemisch-physikalischen Wirkweise weiterhin Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Fachliteratur entgegen. Danach ist anerkannt, dass Tannine (pflanzliche Gerbstoffe) aufgrund ihrer chemischen Struktur mit Proteinmolekülen in der Zellmembran reagieren, diese denaturieren, also ihre Struktur verändern, und so nicht nur den Aufbau der Zellmembran, sondern auch ihre biologische Funktion beeinflussen. Mit den Proteinmolekülen bilden sie eine Art Schutzschild, die sog. Fällungsmembran, das zur Schrumpfung, Abdichtung und Austrocknung der Schleimhaut führt. Dies wird als adstringierend (zusammenziehend) empfunden und kann – bei Anwendung in der Nasenhöhle – den Austritt von Nasensekret verhindern sowie abschwellend auf die Nasenschleimhaut wirken, was wiederum einen Rückgang der Entzündung und eine Abdichtung gegenüber (weiteren) Rhinoviren bewirken kann. Auch den Silbereiweißverbindungen der Tannine bzw. dem Silbereiweiß-Acetlytannat (SEAT) werden in der – überwiegend älteren – Fachliteratur eine sekretionseinschränkende sowie eine (milde) antiseptische und/oder bakterizide Wirkung zugeschrieben. Teilweise wird nur von einer antiseptischen Wirkung ausgegangen, die auf den Silberbestandteil zurückgeführt wird.

 

172   Vgl. Mutschler, Arzneimittelwirkungen, 10. Aufl. 2013, S. 612, und 6. Aufl. 1991, S. 488 zu „Tannalbin“; Deutscher Arzneimittel Codex 2005, Monographie S-074 zu SEAT; Hunnius, Pharma-zeutisches Wörterbuch, 9. Aufl. 2004, „Tannine“, „Gerbstoffe, pflanzliche“ und „Silbereiweiß-Acetyltannat“; Hagers Handbuch der Pharma-zeutischen Praxis, 1990, S. 612 zu „Silbereiweiß-Acetyltannat“; Hauschild, Pharmakologie und Grundlagen der Toxikologie, 4. Aufl. 1973, S. 566 ff.

 

173   Ob das Präparat der Klägerin den danach von der Beklagten als am wahrscheinlichsten angenommenen Wirkmechanismus des Präparats in der Nasenhöhle tatsächlich auslöst, bleibt ebenfalls ungeklärt. Insbesondere ist die speziell zu SEAT vorgelegte Fachliteratur überwiegend älteren Datums und zeigt nicht auf, auf welchen Untersuchungen die Wirkannahmen beruhen.

 

174   Der von der Beklagten angenommene Wirkungsmechanismus, der auf einer Denaturierung der Membranproteine durch den Wirkstoff beruht, ist aber auch nicht unmöglich oder wissenschaftlich widerlegt. Auch nach den Ausführungen des Dr. T.        ist er nicht ausgeschlossen. Soweit Dr. T.        annimmt, eine direkte Reaktion des aus dem Depot freigesetzten Diacetyltannat mit membranständigen Proteinen der Nasenschleimhaut sei unwahrscheinlich, weil lösliche Proteine des Nasensekrets in einer solchen Menge vorhanden seien, dass der Wirkstoff eine zur Eiweißfällung führende Bindung lediglich mit diesen eingehe bzw. dass das Nasensekret eine direkten Wechselwirkung mit der Nasenschleimhaut räumlich verhindere, handelt es sich um eine Hypothese, die nicht bestätigt ist. Die Beklagte hat ihr nachvollziehbar entgegengehalten, dass die gerbend-adstringie-rende Wirkung von Diacetyltannat gegenüber der von freien Tanninen abge-schwächt ist, weil der Wirkbestandteil – wie auch die Klägerin ausgeführt hat – nur in gebundener (acetylierter) Form vorliegt, sodass von Zellschäden jeden-falls nicht in dem für freie Tannine anzunehmenden Umfang – bis hin zur Irrever-sibilität – auszugehen ist.

 

175   Eine zumindest gewisse zellschädigende Wirkung des Präparats ist durch die in vitro Untersuchung der C.        GmbH belegt. Danach haben die Nasentropfen der Klägerin eine toxische Wirkung auf die Nasenepithelzellen, die zwar gering, aber jedenfalls stärker ausgeprägt ist als die von Leitungswasser. Sowohl bei den in einem Ansatz untersuchten Kurzzeitkontakten von Nasenepithelzellen mit unverdünnten Nasentropfen als auch bei der über 24 Stunden untersuchten Wirkung von je acht Konzentrationen Nasentropfen mit ebenso vielen Konzentrationen Leitungswasser erwiesen sich die Nasentropfen als toxischer.

 

176   Eine auf einer Denaturierung – also einer Strukturveränderung – der Proteinmoleküle in der Zellmembran beruhende Hauptwirkweise des Erzeugnisses vermag die Untersuchung der Zytotoxizität durch die C.        GmbH auch im Übrigen nicht auszuschließen. Die Feststellung, eine denaturierende Wirkung der Nasentropfen sei nicht beobachtet worden, ist nicht hinreichend aussagekräftig, denn es ist nicht ersichtlich, dass eine solche untersucht worden ist. Die Beklagte hat nachvollziehbar darauf verwiesen, dass die Untersuchung über den molekularen Wirkmechanismus keine Aussage trifft. Dazu hat sie weiter ausgeführt, dass die festgestellte Zytotoxizität eine denaturierende Wirkung nicht ausschließe, sondern vielmehr für eine solche spreche, weil eine Denaturierung von Zellproteinen gerade zum Absterben der Zellen führen könne.

 

177   Eine mögliche Denaturierung von Proteinen der Zellmembran der Epithelzellen, die gegebenenfalls zu einer entzündungshemmenden, sekretionsreduzierenden und antiviralen Wirkung an der Nasenschleimhaut führen könnte, wäre – wie auch das Verwaltungsgericht angenommen hat – eine nicht-rezeptorvermittelte pharmakologische Wirkung. Als nicht rezeptorvermittelte Arzneistoffe sind etwa solche Stoffe anerkannt, die an eine Zellmembran anbinden und durch eine Steigerung der Zellmembranpermeabilität einen Einfluss auf physiologische Prozesse hervorrufen.

 

178   Vgl. Aktories/Förstermann/Hofmann, Starke, Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 10. Aufl., Abschnitt 1.2, Tabelle 1.1, B: nicht-rezeptorvermittelte Pharmakawirkungen; Mutschler, Arzneimittelwirkungen, 8. Aufl. 2001; Abschnitt 3.2, Rezeptorunabhängige Arzneimitteleffekte.

 

179   Der vorliegend diskutierte umgekehrte Mechanismus, nämlich eine Verringerung der Permeabilität der Zellmembran durch Proteindenaturierung, also eine Abdichtung und Schrumpfung der Nasenschleimhaut, die zu einer entzündungshemmenden, sekretionshemmenden und antiviralen Wirkung führen kann, stellt keine wesentlich andere Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers dar. Die Denaturierung von Membranproteinen bedeutet einen Eingriff in die Sekundärstruktur (räumliche Anordnung) der Proteine, die zu einer Veränderung oder zu einem Verlust ihrer biologischen Funktionen führt. Da die Membranproteine eine entscheidende Rolle bei nahezu allen zellulären Funktionen spielen (z.B. für Enzymaktivität, Signalübertragung, Stofftransport, Verankerung an Cytoskelett und extrazellulärer Matrix und die Zell-Zell-Interaktion),

 

180   vgl. Müller-Esterl, Biochemie, 3. Aufl. 2018, S. 35, 328, 332 ff.; siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Membranprotein, abgerufen am 12. August 2019,

 

181   hat bereits das Verwaltungsgericht darauf verwiesen, dass ein Verlust oder eine Veränderung der biologischen Funktion erhebliche und schwer überschaubare Wirkungen und Folgewirkungen hervorrufen kann. Können durch das Produkt in dieser Weise unspezifische Zellreaktionen mit einer Vielzahl potentieller Folgewirkungen in der Nasenschleimhaut ausgelöst werden, spricht dies für die Annahme einer pharmakologischen Wirkung im Rechtssinne, die einer Überprüfung im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren bedarf.

 

182   Sonstige wissenschaftliche Daten, die eindeutigen Aufschluss über die Wirkweise des klägerischen Produkts geben könnten, sind nicht ersichtlich. Schon angesichts dessen bestand zu der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeregten persönlichen Anhörung der von ihr beauftragten Gutachter keine Veranlassung, da dadurch kein weitergehender Erkenntnisgewinn zu erwarten war.

 

183   4. Die nach dem Stand der Wissenschaft verbleibende Unklarheit hat nach der Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG zu Lasten der Klägerin zur Folge, dass es bei der Einordnung ihres Produkts als Präsentationsarzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG und der Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes auch im Übrigen bleibt. Ist die Frage einer pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkweise des Erzeugnisses nach den gegebenen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mit Gewissheit zu beantworten, ist es nicht Aufgabe der Ver-waltungsgerichte, weitere Ermittlungen anzustellen, was auf die Durchführung einer klinischen Studie hinauslaufen würde.

 

184   Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2009 – 3 C 5.09 –, juris, Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2010 – 13 A 2612/09 –, juris, Rn. 21.

 

185   Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht. Der das Arzneimittelrecht beherrschende Grundsatz der öffentlichen Gesundheit, insbesondere der Schutz des Verbrauchers vor Produkten mit ungeklärter Wirkung sowie vor unwirksamen Arzneimitteln, gebietet, dem Hersteller die (materielle) Darlegungs- und Beweislast für die Wirkweise eines Produkts aufzuerlegen, das sich als Arzneimittel präsentiert, dessen Wirkung aber nicht geklärt ist. Anderenfalls gelangten Erzeugnisse auf den Markt, denen der Verbraucher aufgrund ihrer Aufmachung zwar eine Wirksamkeit zuschreibt, deren Wirkung aber weder in einem arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren überprüft worden, noch eindeutig im Sinne des Medizinprodukterechts ist.

 

186   Entgegen der Auffassung der Klägerin bietet das Medizinproduktrecht – vor Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2017/745 das Medizinproduktgesetz und die zugrundeliegende Richtlinie 93/42/EWG – vor solchen Erzeugnissen keinen hinreichenden Schutz. Die danach gewährleistete Kontrolle der für ein Erzeugnis in Anspruch genommenen Wirksamkeit bleibt wesentlich hinter den Anforderungen zurück, die das Arzneimittelrecht für das Inverkehrbringen eines Erzeugnisses als Arzneimittel aufstellt. Das Arzneimittelgesetz sieht in §§ 21 ff. eine behördliche Prüfung der umfangreichen Zulassungsunterlagen (§ 22 AMG) vor, darunter regelmäßig Sachverständigengutachten zu den pharmakologischen Eigenschaften und der Wirksamkeit des Erzeugnisses in dem angegebenen Anwendungsgebiet aufgrund klinischer Prüfung (§§ 22 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 2 und 3 AMG). Die behördliche Prüfung führt nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AMG u.a. dann zur Versagung der Zulassung und damit der Verkehrsfähigkeit, wenn die vom Hersteller angegebene therapeutische Wirksamkeit nicht besteht oder vom Antragsteller unzureichend begründet wird. Demgegenüber verlangt die CE-Kennzeichnung für das Inverkehrbringen eines Medizinprodukts nach § 6 Abs. 1 und 2 MPG lediglich die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG i.V.m. – für Medizinprodukte die weder aktiv und implantierbar noch in-vitro-Diagnostika sind – Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/47/EG sowie die Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens nach den Vorschriften der Medizinprodukte-Verordnung (MPV). Zu diesen grundlegenden Anforderungen gehört zwar auch ein Nachweis, dass das Produkt die vom Hersteller vorgesehene Funktion erfüllt, der u.a. anhand einer klinischen Bewertung zu führen ist (Anhang I, Ziffern 3 und 6a i.V.m. Anhang X der Richtlinie 93/42/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/47/EG). Die Anforderungen im Einzelnen hängen aber von der Klassifizierung des jeweiligen Medizinprodukts ab. Zum einen setzt die klinische Bewertung eine klinische Prüfung grundsätzlich nur für Medizinprodukte der Klasse III und implantierbare Produkte voraus (Anhang I Ziffer 6a i.V.m. Anhang X Ziffer 1.1a der Richtlinie 93/42/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/47/EG). Zum anderen wird das Konformitätsbewertungsverfahren für Medizinprodukte der Klasse I, zu der das von der Klägerin hergestellte Nasenspray – bei einer Einordnung als Medizinprodukt – nach Abschnitt III Ziffer 2.1 des Anhangs IX der Richtlinie 93/42/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/47/EG gehört, nach § 7 Abs. 4 MPV vom Hersteller selbst durchgeführt, sodass die Produkte ohne behördliche Prüfung der angegebenen Wirksamkeit auf den Markt gebracht werden. Diese gegenüber dem Arzneimittelrecht geringeren Anforderungen beruhen auf der Einschätzung, dass der Grad der Verletzbarkeit des menschlichen Körpers durch Medizinprodukte mit Ausnahme solcher der Klasse III und implantierbarer Produkte im Allgemeinen gering ist.

 

187   Vgl. Erwägungsgründe der Richtlinie 93/42/EWG, 15. Absatz.

 

188   Diese Einschätzung ist aber nur gerechtfertigt, wenn das Erzeugnis erwiesenermaßen eine medizinprodukt-typische – also nicht pharmakologische, nicht immunologische und nicht metabolische – Wirkung hat.

 

189   Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

 

190   Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

 

191   Die Revision wird zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Frage der Abgrenzung eines Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG von einem stofflichen Medizinprodukt mit therapeutischer Wirkung nach § 3 Nr. 1 Buchst. a) MPG reicht über den Einzelfall hinaus. Die Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht geklärt.