Datum: 22. Mai 2020

Gericht: OLG Frankfurt am Main

Spruchkörper: 6. Zivilsenat

Entscheidungart: Urteil

Aktenzeichen: 6 U 23/20

ECLI: ECLI:DE:OLGHE:2020:0522.6U23.20.00


Vorinstanz: LG Frankfurt

Eilverfahren: Mangelnde Glaubhaftmachung der Tatbestandswirkung eines Bescheides nach § 21 Abs. 4 AMG durch Weigerung der Übergabe eines ungeschwärzten Entscheidungstextes

 

Leitsatz

 

1. Für die Frage, ob es sich bei einem Präparat um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt, kommt dem Bescheid nach § 21 Abs. 4 AMG des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte Tatbestandswirkung zu, d.h. die Gerichte sind an die Bewertung des Institutes grundsätzlich gebunden, soweit der Bescheid nicht nichtig ist.

 

2. Zur Beurteilung der Tatbestandswirkung im Einzelfall kann es erforderlich sein, dass das Gericht den Entscheidungstext des Bescheides in Gänze zur Kenntnis nehmen kann. Wird nur ein teilweise geschwärzter Entscheidungstext vorgelegt, kann es im Eilverfahren an der notwendigen Glaubhaftmachung der Tatbestandswirkung fehlen.

 

3. Mangelt es in dieser Weise an der Tatbestandswirkung des Bescheides, muss das Gericht selbst entscheiden, ob ein Funktions- oder Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 AMG vorliegt.

 

Tenor

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18.12.2019, Az. 3-8 O 146/18, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

 

Gründe

 

I.
Die Parteien streiten im Eilverfahren um die rechtliche Einordnung des Produkts „Mucosolvan Complete PHYTO“ als Arzneimittel oder Medizinprodukt.

 

Der Verfügungskläger ist ein Verein mit dem Zweck, den unlauteren Wettbewerb in allen Erscheinungsformen im Zusammenwirken mit Behörden und Gerichten zu bekämpfen. Zu seinen Mitgliedern gehören unter anderen der Bund der A, dem wiederum 140 Apotheken, Drogerien und Reformhäusern sowie 15 Sanitätshäuser angehören.

 

Die Verfügungsbeklagte ist ein pharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in Stadt1. Sie vertrieb das streitgegenständliche Produkt als Medizinprodukt. Es wurde dabei wie in der Anlage zum Verfügungsantrag dargestellt beworben:

 

Der Verfügungskläger hat vorgetragen, das Produkt sei als Präsentationsarzneimittel zu klassifizieren. Es enthalte als Wirkstoffe zwei anerkannte und monographierte Arzneipflanzen, die seit jeher bei der Behandlung von Husten eingesetzt würden. Deren pharmakologische Wirkung sei unbestritten. Zudem sei der Markenname „Mucosolvan“ identisch mit dem unstreitig als Arzneimittel zugelassenen weiteren „Mucosolvan“ Hustensaft der Verfügungsbeklagten, die dem Verkehr als Arzneimittel bekannt sei.

 

Darüber hinaus handele es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt auch um ein Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Es weise sowohl pharmakologische als auch immunologische Wirkung auf. Sowohl der enthaltene Inhaltsstoff Spitzwegerich als auch Thymian wiesen pharmakologische Effekte auf. Jedenfalls durch die Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3 AMG sei von einem Funktionsarzneimittel auszugehen.

 

Das Landgericht hat der Verfügungsbeklagten durch Beschluss – einstweilige Verfügung – vom 2.1.2019 aufgegeben, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, das streitgegenständliche Produkt als Medizinprodukt in Verkehr zu bringen und/oder bringen zu lassen wie in den Anlagen wiedergegeben.

 

Auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten hat das Landgericht durch Urteil vom 18.12.2019, auf das gemäß § 540 Abs. 1 ZPO wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, die einstweilige Verfügung bestätigt.

 

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Verfügungsantrag sei jedenfalls aus § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG begründet. Die Kammer sei nicht gehindert, im Widerspruchsverfahren die einstweilige Verfügung aufgrund einer anderen Rechtsnorm zu bestätigen, soweit der Verfügungskläger seinen Antrag ursprünglich auch auf diese Rechtsnorm gestützt habe. Dies sei der Fall, da der Verfügungskläger auf Seite 50 seiner Antragsschrift zwar keine Irreführungsgesichtspunkte konkret vorgetragen, aber er auf die zuvor gemachten Ausführungen zum Arzneimittelrecht verwiesen habe. Der Verfügungsantrag sei auch begründet, da die Präsentation des streitgegenständlichen Hustensafts gegenüber dem angesprochenen Verkehr den unzutreffenden Eindruck erwecke, dass es sich um Arzneimittel handele. Zwar werde das Produkt nicht als Arzneimittel, sondern als Medizinprodukt bezeichnet. Zur Irrtumserregung reiche es aber aus, wenn gegenüber Verbrauchern der Eindruck erweckt werde, dass der Hustensaft in Anbetracht seiner Präsentation Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher Krankheiten haben müsse und er deshalb als Arzneimittel zu qualifizieren sei. Nach der Bewerbung des Produktes werde es wie ein medizinischer Hustensaft beschrieben („bei trockenen Husten und Husten mit Schleim“, „beruhigt den Hustenreiz“, „löst zusätzlich den Schleim“). Allein diese Zweckbestimmung reiche aus, um den Eindruck zu erwecken, der Hustensaft linderte die Krankheit Husten, indem es den Hustenreiz beruhige und zusätzlich den Schleim löse.

 

Hiergegen wendet sich die Verfügungsbeklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Abweisungsantrag weiterverfolgt.

 

Sie ist der Ansicht, die Irreführungsvorwurf nach § 5 UWG sei von dem ursprünglichen, mit der Antragsschrift festgelegten Streitgegenstand nicht umfasst gewesen. Soweit der Verfügungskläger im Schriftsatz vom 2.11.2019 erstmals ein Irreführungstatbestand nach § 5 UWG zum Streitgegenstand erhoben habe, handele es sich um einen neuen Streitgegenstand. Der Anspruch sei insoweit jedoch nach § 11 UWG verjährt, da nach der Abmahnung vom 13.12.2018 spätestens mit Ablauf des 13.6.2019 Verjährung eingetreten sei. Das streitgegenständliche Produkt sei nach der Abmahnung nicht weiter angeboten worden. Im Hinblick auf § 21 Abs. 1 AMG sei der Verfügungsantrag unbegründet, da das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als zuständige Zulassungsbehörde durch Bescheid vom 10. 9. 2019 (Anlage AG 10, Bl. 99) gemäß § 21 Abs. 4 AMG verbindlich festgestellt habe, dass es sich bei dem Produkt nicht um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel im Sinne von §§ 21 Abs. 1, 4 Abs. 1, 2 Abs. 1 AMG handele, sondern um ein Medizinprodukt im Sinne von § 3 Nr. 1 MPG. Der Bescheid des Bundesinstituts habe für das Zivilgericht Tatbestandswirkung mit der Folge, dass das Zivilgericht an die Entscheidung des Bundesinstituts gebunden sei und nicht dasjenige verbieten könne, was der Feststellungsbescheid ausdrücklich erlaube. Wenn die Überwachungsbehörden aufgrund eines Feststellungsbescheides damit erlaubtes Verhalten nicht untersagten, könne auch ein entsprechender wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 UWG nicht in Betracht kommen. Der Feststellungsbescheid sei auch wirksam und nicht nichtig. Die Nichtigkeit der § 40 Abs. 2 VwVfG erfordere einen besonders schweren Fehler des Verwaltungsaktes, der zudem offensichtlich sein müsse. Soweit schließlich der Verfügungskläger auf die Zweifelsfallregelung gemäß § 2 Abs. 3 AMG abstelle, könne diese Bestimmung nicht Grundlage für die Annahme einer Nichtigkeit des Bescheides gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG sein. In der Literatur sei nämlich umstritten, ob die Zweifelsfallregelung auf Präsentationsarzneimittel überhaupt Anwendung finde. Dies habe zur Folge, dass mehrere Auffassungen vertretbar seien und schon deshalb eine Nichtigkeit des Verwaltungsaktes ausgeschlossen sei.

 

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

 

den einstweiligen Verfügungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt vom 2.1.2019 und das Urteil vom 18.12.2019, Az. 3-8O 146 / 18 aufzuheben und den auf seinen Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

 

Der Verfügungskläger beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er verteidigt das angegriffene Urteil.

 

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

 

II.

 

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat dem Verfügungskläger den Unterlassungsanspruch im Ergebnis zu Recht zugesprochen.

 

1. Die einstweilige Verfügung kann allerdings nicht auf einen Irreführungsvorwurf nach § 5 UWG gestützt werden. Insoweit fehlt es an der notwendigen Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung.

 

a) Das Landgericht hat zwar zu Recht einen Irreführungsvorwurf nach § 5 Abs. 1 UWG als auch vom Streitgegenstand erfasst angesehen.

 

Der Streitgegenstand eines auf die konkrete Verletzungsform bezogenen Unterlassungsantrags umfasst alle Rechtsverletzungen, die in der konkreten Verletzungsform verwirklicht sind. Beanstandet der Antragsteller eine Werbung unter mehreren Gesichtspunkten, überlässt er es dem Gericht zu bestimmen, auf welchen Aspekt das Verbot gestützt wird (BGH GRUR 2013, 401 Rn 24 – Biomineralwasser). Es gelangen auch beide Angriffe in die Berufung, so dass das Berufungsgericht nicht gehindert ist, das Urteil insoweit unter einer anderen rechtlichen Begründung aufrechtzuerhalten. Das ändert jedoch nichts daran, dass ein gerichtliches Verbot nur auf diejenigen tatsächlichen Beanstandungen gestützt werden kann, die von einem Kläger bzw. Antragsteller im Verfahren auch erhoben werden. Insbesondere darf das Gericht die konkrete Verletzungsform nicht mit dem Vorwurf der Irreführung über eine bestimmte Tatsache begründen, wenn diese Irreführungsgefahr zwar zum Streitgegenstand in dem dargestellten weiten Sinn gehört, der Kläger selbst sich auf diese konkrete Irreführungsgefahr jedoch nicht berufen hat. Dies wäre mit der Dispositionsmaxime unvereinbar, die die Berücksichtigung nicht vorgetragener Tatsachen selbst dann verbietet, wenn sie offenkundig sind (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 4.4.2013 – 6 W 85/12 – Zählrate = GRUR-RR 2013, 302).

 

b) Im vorliegenden Fall hat der Verfügungskläger den Irreführungsgesichtspunkt (erst) im Widerspruchsverfahren mit dem neuen Schriftsatz vom 22.11.2019 eingeführt.

 

In seiner umfangreichen Antragsschrift hat der Verfügungskläger sich ausführlich über 50 Seiten mit den arzneimittelrechtlichen Umständen des Falles befasst und in der rechtlichen Würdigung lediglich auf der letzten Seite in der Normenkette auch § 5 UWG und § 3a HWG zitiert. Dies reicht nicht aus, um eine Irreführung nach § 5 UWG zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Die schlüssige Darlegung eines Irreführungsgesichtspunkts setzt Vortrag dazu voraus, durch welche Angabe welcher konkrete Verkehrskreis angesprochen wird, welche Vorstellungen die Angabe bei diesem angesprochenen Verkehrskreis ausgelöst hat, warum diese Vorstellung unwahr ist und dass die so konkretisierte Fehlvorstellung geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte. Das Gericht kann das Verbot der konkreten Verletzungsform nicht auf eine Werbebehauptung stützen, deren Unrichtigkeit in der Antragsschrift – wie hier – lediglich beiläufig erwähnt wird. Wenn auch Parallelen zwischen in der rechtlichen Beurteilung zwischen einer Irreführung nach § 5 UWG und der Frage des Vorliegens eine (Präsentations-)Arzneimittels vorliegen, erfordert § 5 UWG darüber hinaus die Geeignetheit, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Hierzu fehlt es an Vortrag, so dass nicht erkennbar ist, dass der Verfügungskläger eine Irreführung nach § 5 UWG tatsächlich schon mit der Antragsschrift und nicht erst mit dem Schriftsatz vom 22.11.2019 zum Gegenstand des Verfahrens machen wollte.

 

c) Diese späte Einführung in das Verfahren führt dazu, dass § 5 UWG nicht berücksichtigt werden kann.

 

Dabei kann dahinstehen, ob die Verfügungsbeklagte insoweit mit der Einrede der Verjährung Erfolg hat. Problematisch ist dabei, ob die Verjährung an den Streitgegenstand oder – kleinteiliger – an den konkreten Angriff anknüpft. Der Senat hat insoweit bereits entschieden, dass dann, wenn der Antrag auf Erlass einer Unterlassungsverfügung gegen die konkrete Verletzungsform gerichtet ist, die Verjährungshemmung nur für diejenigen Beanstandungen eintritt, die in der Antragsschrift zur Begründung des Unterlassungsbegehrens genannt sind (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.5.2016 – 6 U 171/14 = GRUR-RS 2016, 153232).

 

Dies kann aber im Ergebnis dahinstehen, da es jedenfalls an der insoweit erforderlichen Dringlichkeit fehlt (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.9.2016 – 6 U 110/16 = WRP 2017, 94 = GRUR-RS 2016, 19017, Rnr. 13 f; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 8.11.2018 – 6 U 77/18 = BeckRS 2018, 30032). Danach ist die Dringlichkeitsvermutung des § 12 II UWG auch dann widerlegt, wenn das Verbot der beanstandeten konkreten Verletzungsform erst im Lauf des Eilverfahrens auf einen Gesichtspunkt gestützt wird, der dem Antragsteller bereits zu Beginn des Verfahrens bekannt war. Dies war hier der Fall.

 

d) Die Frage, ob eine mögliche Tatbestandswirkung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Ausstrahlungswirkung auf die Beurteilung von § 5 UWG hätte (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.12.2016 – I-15 U 39/16 – Heilpraktiker für Psychotherapie = GRUR-RR 2017, 280), kann daher im Eilverfahren dahinstehen.

 

2. Dem Verfügungskläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3, 3a UWG i.V.m. § 21 Abs. 1 AMG zu. Die Verfügungsbeklagte konnte nicht glaubhaft machen, dass sich aus dem Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 10.9.2019 eine Tatbestandswirkung für § 3a UWG ergibt. Da ein Präsentationsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG vorliegt, kann der Verfügungskläger insoweit Unterlassung verlangen.

 

a) Die Verfügungsbeklagte kann sich nicht auf die Tatbestandswirkung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 10.9.2019 berufen.

 

(1) Bei einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt muss der Anspruchsteller lediglich darlegen und ggf. beweisen, dass das beanstandete Verhalten vom generellen Verbot erfasst wird. Es ist dann Sache des Anspruchsgegners, darzulegen und zu beweisen, dass sein Verhalten von der behördlichen Erlaubnis gedeckt ist (BGH GRUR 2012, 945 Rn 32 – Tribenuronmethyl). Anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde einen Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG) erlassen hat, durch den ein bestimmtes Marktverhalten eines Unternehmens ausdrücklich erlaubt wurde (BGH WRP 2018, 1452 Rn 27 – Prozessfinanzierer I). Ist dieser Verwaltungsakt nicht nichtig, sondern nur fehlerhaft, so ist das Verhalten als rechtmäßig anzusehen (Tatbestandswirkung), solange der Verwaltungsakt nicht in dem dafür vorgesehenen verwaltungsrechtlichen Verfahren von der Behörde oder dem Verwaltungsgericht aufgehoben worden ist (BGH WRP 2014, 429 – Atemtest II; BGH WRP 2016, 44 Rn 19 – Äquipotenzangabe in Fachinformation).

 

(2) Der hierfür notwendige Verwaltungsakt könnte hier grundsätzlich mit dem Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 10.9.2019 (AG 10) gesehen werden, der auf Antrag des Regierungspräsidiums Stadt2 vom 15.1.2019 ergangen ist.

 

Es handelt sich insoweit um einen Verwaltungsakt. Wenn sich – wie in der Praxis häufig der Fall – Behörden zur Rechtmäßigkeit des beanstandeten Marktverhaltens äußern, hat dies daher nur Relevanz, wenn es sich um einen Verwaltungsakt handelt. Dies ist hier der Fall. § 21 Abs. 4 AMG räumt der zuständigen Bundesoberbehörde unabhängig von der Bescheidung eines konkreten Zulassungsantrages die Kompetenz ein, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde (§ 64) über die Zulassungspflicht eines zu entscheiden. Mit der Regelung soll insgesamt zur Herbeiführung der Rechtsklarheit ein einheitlicher Vollzug des AMG bei den einzelnen Landes-Vollzugsbehörden in diesen Grundsatzfragen gewährleistet und damit sich widersprechende Entscheidungen der Landesbehörden für identische Sachverhalte vermieden werden. Die Feststellung soll aber auch dazu dienen, Rechtsklarheit gegenüber den Herstellern oder Vertreibern pharmazeutischer Produkte zu schaffen, denn ohne eine verbindliche Klärung des Produktstatus würden diese sich der Gefahr der Begehung einer Straftat (§ 96 Nr. 5 AMG) aussetzen (Kügel/Müller/Hofmann, AMG, § 21 Rn 96, 97). Neben der Entscheidung über die Zulassungspflicht räumt diese Regelung der zuständigen Bundesoberbehörde regelungsimmanent die Kompetenz ein, über den rechtlichen Status des Produktes, welches Gegenstand des Antrags ist, zu entscheiden. Die Bundesoberbehörden haben damit mittelbar auch eine Entscheidungskompetenz darüber, ob es sich bei dem Produkt um ein (zulassungspflichtiges) Arzneimittel handelt, oder ob ein Nicht-Arzneimittel, z. B. ein Lebensmittel, Kosmetikum oder Medizinprodukt vorliegt (Kügel/Müller/Hofmann, AMG, § 21 Rn 96, 97).

 

Der von der Behörde nach § 21 Abs. 4 AMG erlassene Verwaltungsakt hat mithin rechtsgestaltende Wirkung, welche die Landesbehörden bindet und den Hersteller des Präparates unmittelbar betrifft. Die Entscheidungskompetenz schließt auch die Produkteigenschaft ein, nämlich, ob es sich um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel oder aber um ein anderes Produkt, beispielsweise ein Nahrungsergänzungsmittel oder ein Kosmetikum handelt (Winnands in Kügel/Müller/Hofmann § 21, Rn 96). Kommt die Behörde zu dem Ergebnis, das betroffene Präparat sei ein zulassungspflichtiges Arzneimittel und dürfe folglich ohne Zulassung nicht in Verkehr gebracht werden, so handelt es sich bei dem entsprechenden Bescheid um einen den Hersteller oder Vertreiber belastenden Verwaltungsakt, der von ihm mit dem Rechtsmittel der Anfechtungsklage angefochten werden kann (Rehmann, 5. Aufl. 2020, AMG § 21 Rn 16). Kommt die Behörde zu dem Ergebnis, dass das betroffene Präparat kein Arzneimittel ist, handelt es sich insoweit um einen den Hersteller begünstigenden Verwaltungsakt. Soweit teilweise das Vorliegen eines Verwaltungsaktes in Zweifel gezogen wird (VG Köln, PharmaR 2010, 35, 37), da die Statusfeststellung auf Antrag der zuständigen Landesbehörde erfolge und diese auch Adressatin der Verwaltungsentscheidung sei (und der Hersteller nicht unmittelbar Beteiligter im Sinne von § 13 Abs. 1 VwVfG sein dürfte) überzeugt dies aus den oben genannten Gründen nicht.

 

Die Tatbestandswirkung des Bescheides wäre auch grundsätzlich geeignet, eine Tatbestandswirkung auszulösen.

 

Die Reichweite der Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts wird durch seinen Regelungsgehalt bestimmt, der in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB nach den Grundsätzen zu bestimmen ist, die auch für die Auslegung von Willenserklärungen gelten (BGH GRUR 2018, 1166, Rn 27 – Prozessfinanzierer; BGH GRUR 2015, 1228 Rn 35 – Tagesschau-App, mit weiteren Nachweisen). Danach ist der erklärte Wille der Behörde maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswerts ist in erster Linie auf den Entscheidungssatz und die Begründung des Verwaltungsakts abzustellen. Darüber hinaus ist das materielle Recht, auf dem der Verwaltungsakt beruht, heranzuziehen.

 

Die Bindungswirkung kommt ähnlich wie bei Urteilen grundsätzlich nur dem Tenor des Verwaltungsaktes zu, nicht aber den wesentlichen Gründen oder der Beurteilung der Vorfragen, insbesondere vorgreiflicher Rechtsverhältnisse. Nur ausnahmsweise ist mit manchen Verwaltungsakten aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften weitergehend eine sog. Feststellungswirkung verbunden, das heißt es sind auch der eigentlichen Entscheidung voraus liegende Elemente – z.B. tatsächliche Feststellungen, auf denen ein Verwaltungsakt beruht, oder die Beurteilung vorgreiflicher Inzidentfragen – mit in die Bindungswirkung einbezogen. Ein Beispiel hierfür ist § 2 Abs. 4 AMG. Danach gilt ein Mittel, das als Arzneimittel zugelassen ist, als Arzneimittel. Umgekehrt gilt es nicht als Arzneimittel, wenn das Bundesinstitut die Zulassung mit der Begründung abgelehnt hat, dass es sich um kein Arzneimittel handelt. Dies gilt auch für die Feststellung nach § 21 Abs. 4 AMG gelten. Zwar betrifft der Wortlaut des § 2 Abs. 4 AMG nur die Zulassung bzw. Nicht-Zulassung, während nach § 21 Abs. 4 AMG die Behörde „über die Zulassungspflicht“ entscheidet. Dies macht jedoch in der Sache keinen Unterschied.

 

Der Tenor des Bescheids lautet hier: „Bei dem genannten Präparat handelt es sich nicht um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel.“ Aus den Gründen ergibt sich, dass das Institut als Obersatz festgestellt hat, dass kein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG vorliegt. Weiter stellt die das Bundesinstitut fest, dass das Produkt aufgrund der näher erläuterten Bewertungskriterien nicht die Definition des Funktionsarzneimittels gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG erfüllt. Insoweit ist die Wirkung klar: Die Tatbestandswirkung ist insoweit eingetreten. Im Folgenden führt das Bundesinstitut allerdings auch aus, dass das Produkt nach den objektiven Kriterien die Definition eines Präsentationsarzneimittels erfüllt, um dann allerdings darauf hinzuweisen, dass die Erfüllung der Definition des Präsentationsarzneimittels im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG bei der Abgrenzung von Arzneimitteln zu Medizinprodukten regelmäßig kein abschließendes Einstufungskriterium darstellt. Die Einordnung als Präsentationsarzneimittel wird im Folgenden noch weiter begründet.

 

Soweit der Verfügungskläger meint, die Tatbestandswirkung umfasse nur die Feststellung zum Vorliegen eines Funktionsarzneimittels, im Übrigen habe die Behörde ja auch eindeutig festgestellt, dass ein Präsentationsarzneimittel vorliege, überzeugt dies den Senat nicht. Das Bundesinstitut hat sich in seinem Bescheid sowohl mit der Frage des Funktionsarzneimittels als auch mit der Frage des Präsentationsarzneimittels befasst und eindeutig festgestellt, dass die arzneimittelrechtliche Definition des § 2 Abs. 1 AMG nicht erfüllt ist. Soweit es zur Begründung ausgeführt hat, dass zwar ein Präsentationsarzneimittel vorliege, die Erfüllung dieser Definition bei der Abgrenzung zu Medizinprodukten regelmäßig aber kein abschließendes Einstufungskriterium sein, ist diese Begründung in der Tat angreifbar (vgl. unten).

 

Die Frage, ob der Verwaltungsakt inhaltlich rechtmäßig ergangen ist, ist allerdings für die Tatbestandswirkung regelmäßig irrelevant. Im Gegenteil ist sogar gerade der Sinn der Tatbestandswirkung, dass die fachlich kompetente Verwaltungsbehörde eine abschließende Entscheidung tritt, die von den Zivilgerichten – unabhängig von der Rechtmäßigkeit – nicht überprüfbar ist.

 

Eine Grenze findet die Tatbestandwirkung erst in der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes. Diese erfordert nach § 44 Abs. 1 VwVfG einen schwerwiegenden Fehler, der auch offensichtlich sein muss. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der dem Verwaltungsakt anhaftende Fehler diesen schlechterdings unerträglich, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lassen (BVerwG NVwZ 1998, 1061; BVerwG BeckRS 2015, 52873). Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist nur dann anzunehmen, wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so erheblichen Maße verletzt werden, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (BVerwG NJW 1985, 2658; BVerwG NVwZ 1998, 1061). Dies hat zur Folge, dass der Verstoß gegen eine wichtige Rechtsbestimmung allein als solcher nicht zur Nichtigkeit führt. Ein einfacher Rechtsfehler kann daher schon grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit führen.

Hätte daher das Bundesinstitut zu Unrecht darauf abgestellt, dass alleine die Tatsache einer Präsentation als Arzneimittel nicht ausreichend für eine Einordnung als Arzneimittel ist, sondern zusätzlich Kriterien zu erfüllen sind (Gesamtabwägung), wäre dies nicht geeignet, eine Nichtigkeit zu begründen.

 

Die Frage, wie sich die Tatsache auswirkt, dass der Verfügungskläger in seinem Antrag nicht nur die Produktverpackung, sondern auch Werbematerialien angegriffen hat, die dem Bundesinstitut nicht vorlegen, kann hier dahinstehen.

 

(3) Für den Senat ist die Tatbestandswirkung durch den vorgelegten Bescheid nämlich nicht hinreichend glaubhaft, da der Bescheid nicht mit vollständiger Begründung, sondern nur teilweise geschwärzt vorgelegt wurde. Da – wie oben dargelegt – der Regelungsgehalt von der Begründung abhängt, weist der Verfügungskläger zu Recht darauf, dass ohne Vorlage des gesamten Bescheides nicht nachvollzogen werden kann, ob die Tatbestandswirkung tatsächlich auch das Nichtvorliegen eines Präsentationsarzneimittels umfasst. So sind die Schwärzungen insbesondere auf S. 4/5 des Bescheides relevant, bejaht dort das Bundesinstitut doch zunächst, dass „nach objektiven Kriterien“ ein Präsentationsarzneimittel vorliegt, um sodann darzulegen, warum trotzdem kein Arzneimittel vorliegen soll. Die Schwärzungen betreffen also einen Bereich, der elementar für die Bestimmung der Reichweite des Bescheides ist. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass Nichtigkeitsgründe vorliegen können.

 

Soweit die Verfügungsbeklagte sich auf Geschäftsgeheimnisse beruft, kennt das Prozessrecht Maßnahmen, um diesen berechtigten Interessen Rechnung zu tragen (§§ 172 Nr. 2, 174 Nr. 3 1 GVG). Die Verfügungsbeklagte hat sich indes trotzdem geweigert, dem Senat den Bescheid vollständig vorzulegen. Unter diesen Umständen sieht der Senat eine Tatbestandswirkung als nicht hinreichend glaubhaft gemacht an.

 

b) Die Verfügungsbeklagte hat durch die Aufmachung des Produkts „Mucosolvan Phyto“ gegen § 21 Abs. 1 AMG verstoßen. Es kann dahinstehen, ob es sich – wie der Verfügungskläger meint – ein Funktionsarzneimittel vorliegt, da es sich jedenfalls um ein Präsentationsarzneimittel handelt.

 

(1) Für die Einordnung eines Stoffes oder Stoffzusammensetzung als Arzneimittel nach seiner Präsentation ist seine, an objektive Merkmale anknüpfende, überwiegende Zweckbestimmung entscheidend, wie diese sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt.

 

Nach Art. 1 Nr. 2 a) der Richtlinie 2001/83/EG (in der Fassung der RL 2004/27/EG) ist ein Arzneimittel auch bei Stoffen oder Stoffzusammensetzungen gegeben, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Dies führt über eine richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 AMG dahin, dass ein Mittel nicht nur dann als Arzneimittel anzusehen ist, wenn es die unter Ziffer 1) beschriebenen Wirkungen tatsächlich hat, sondern auch dann, wenn es sich für einen durchschnittlich informierten und verständigen Durchschnittsverbraucher als solches darstellt, wobei als Kriterien Darreichungsform, Dosierung, Primärverpackung, äußere Umhüllung sowie der Vertriebsweg in Betracht zu ziehen sind (BGH GRUR 2000, 528, 529 – L-Carnitin; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.4.2008 – 6 U 109/17 = PharmaR 2008, 550). Der Verbraucher soll in Anbetracht der Arzneimittelsicherheit so auch vor Produkten geschützt werden, die für die Erfüllung der erwünschten therapeutischen oder prophylaktischen Zwecke nicht oder nicht hinreichend geeignet sind. So kann etwa die Heilung einer Krankheit verzögert oder deren Verlauf verschlechtert werden, wenn statt tatsächlich geeigneter Therapeutika nicht oder nicht hinreichend wirksame Anscheinstherapeutika angewendet werden (Kügel/Müller/Hofmann, AMG § 2 Rn 71-73).

 

Dabei kann die Vorstellung der Verbraucher auch durch die Auffassungen der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ferner durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verkehr allgemein entgegentritt (vgl. BGH GRUR 2001,450 – Franzbranntwein-Gel, Rn 27). Eine ausdrückliche Bezeichnung als Arzneimittel ist für die Einstufung als Präsentationsarzneimittel nicht erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse (vgl. EuGH GRUR 2008, 271 – Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel, Rn 46 – mit weiteren Nachweisen).

 

(2) Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts (und auch das Bundesinstituts), dass dieser Eindruck hier erweckt wird. Die konkrete Präsentation erweckt den Eindruck, dass der Hustensaft Krankheiten heilen und lindern kann. Die Formulierungen „Bei trockenem Husten und Husten mit Schleim, Beruhigt den Hustenreiz und löst zusätzlich den Schleim“ lassen den Verkehr erwarten, dass die Krankheit Husten gelindert wird. Ferner führt – wie das Bundesinstitut zu Recht ausführt – auch die Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung, welche insbesondere durch die schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihrer Anwendung gekennzeichnet ist, zur Einstufung als Präsentationsarzneimittel. Hinzu kommt auch nach Auffassung des Senats, dass dem Verkehr die anderen „Mucosolvan“-Produkte der Verfügungsbeklagten als zugelassene, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bekannt sind. Aus dem Bescheid des Bundesinstituts ergibt sich, dass die Verfügungsbeklagte Zulassungsinhaberin von 13 derartigen Mitteln ist. Auch dem Senat sind die Produkte bekannt. Wird eine Dachmarke ausschließlich bzw. überwiegend für Arzneimittel für einen krankheitswertigen Befund verwendet, ist dies zu berücksichtigen, wenn ein weiteres Produkt unter dieser Dachmarke für den identischen Befund angeboten wird.

 

(3) Soweit darüber hinaus zusätzlich zur Sicht des Verkehrs noch weitere objektive Umstände verlangt werden, um ihm Rahmen einer „Gesamtabwägung“ das Vorliegen eines Präsentationsarzneimittels bejahen zu können (so Kügel/Müller/Hofmann, AMG, AMG § 2 Rn 107, 108 und auch das Bundesinstitut in seinem Bescheid), teilt der Senat diese Auffassung nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 2000, 528) ist nur auf die an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung eines Mittels abzustellen, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt. Raum für ergänzende Anforderungen, etwas die Einbeziehung „hierbei betreffender wissenschaftliche Faktoren“ besteht hier nicht, solange diese nicht das Verkehrsverständnis beeinflussen können.

 

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.